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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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welch heißer journalistischer Mission ich unterwegs war, lachte er nur hämisch und meinte: »Für mich ist nur die Weltrevolution wichtig – und die Frage, wie viele Kapitalistenschweine ich noch umnieten kann, bevor ich als Großer Sohn der Arbeiterklasse den Heldentod sterbe!«
    Eddys Genossen murmelten beifällig, und ich hielt die Klappe, weil er sich schon als Arschloch entpuppt hatte, als sein stinkreicher Papa darauf bestanden hatte, er solle nach zwanzig Semestern Soziologie und Germanistik nun aber auch mal an sein Examen denken. Doch als Eddy anfing, mit seinen Verdiensten um die vor zwei Jahren erfolgte Vohwinkler Revolution zu prahlen, platzte mir der Kragen, und ich hätte seinen Genossen am liebsten erzählt, daß er einen kleinen Pimmel hatte und früher zu den eifrigsten Bewunderern von K.H. Schmiers stockimperialistischer SF-Serie Zur besonderen Verschwendung gehört hatte.
    Kann sein, daß Eddy etwas in der Art in meinen Augen aufblitzen sah – jedenfalls gab er seinen Männern den Befehl, mich loszulassen.
    »Was suchst du hier?« fragte er barsch.
    »Einen verdienten Kulturschaffenden«, sagte ich, um Dicks Namen nicht aussprechen zum müssen, denn wenn Eddy eins nicht ausstehen konnte, dann Leute, die Bücher wie UND DIE ERDE STEHT STILL geschrieben haben und behaupten, außerirdische Gottheiten hätten ihre Schreibmaschine repariert.
    »Na schön«, nuschelte er. »Dann verpiß dich! Aber wenn du einen Artikel über deine Begegnung mit der Avantgarde der Arbeiterklasse verbrätst, schreib bloß meinen Namen richtig!«
    Ich machte Mücke und stand kurz darauf vor dem Haus, in dem Benno Klabuster wohnte. Im Hausflur hatte sich ein Einsatzkommando der Wuppertaler Amazonen e.V. verschanzt, das mich zunächst mal zu Boden riß und ungewöhnlich intensiv abtastete. Als mehrere weibliche Hände zugleich auf die Beretta in meiner Hosentasche stießen, wurde ein dumpfes Seufzen aus mehreren Kehlen laut, doch es verstummte, als die Damen erkannten, daß die eiserne Härte sie genasführt hatte.
    »Name?«
    »Alter?«
    »Beruf?«
    »Geschlecht?«
    Ich gab Auskunft, so gut ich es in meiner Lage konnte. Die Springerstiefel lösten sich von meiner Brust und meinem Unterleib, und ich durfte mich erheben. Diverse Blondinen, Brünette und Rotschöpfe umringten mich mit drohend erhobenen MPs, und eine puffte mir in die Rippen und sagte: »Was willst du hier, du Chauvi-Schwein?«
    Ich zeigte ihr meinen Presseausweis und deutete an, daß ich einen gewissen Benno Klabuster sprechen wollte.
    »Das ist doch bestimmt einer von den Typen, die in dem Kino da arbeiten«, sagte eine barsche Blondine mit einem Zigarrenstummel im linken Mundwinkel.
    Ich warf einen Blick auf das gegenüberliegende Kino, sah die zerschmetterten Aushangkästen und erbleichte. Blutjunge Mädchen in den gierigen Krallen teuflisch-perverser Sex-Unholde! schrie es von einem halb zerfetzten, von diversen Gewehrkugeln perforierten Plakat. Sofort war mir klar, warum das Kommando in Benno Klabusters Hausflur Stellung bezogen hatte. Als zwei weitere Amazonen mit wehendem Haar von der anderen Straßenseite her gebückt auf uns zustürmten und dabei einen langen Draht hinter sich herzogen, den sie kurz darauf an einem kleinen Kästchen befestigten, nahm ich Reißaus, hastete die Treppenstufen hinauf und klopfte mit beiden Fäusten an Benno Klabusters Tür.

 
3. Erste Spuren
     
    »Ich weiß jetzt, warum sich die Science Fiction heute zunehmend schlechter verkauft als früher«, sagte Benno anstelle einer Begrüßung und führte mich in sein mit Bücherregalen vollgestopftes Heim. »Die neueren Autoren schreiben über Sachen, die keinen Arsch interessieren. Und den alten fällt einfach nichts mehr ein. Sie ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus und variieren nur noch die alte gequirlte Kacke.« Er seufzte.
    Gegenüber flog das Kino in die Luft, und die Amazonen stürmten johlend ins Freie.
    »Früher …« nahm Benno seinen Faden wieder auf. »… als ich als Fan noch richtig aktiv war … Das waren andere Zeiten!«
    Er griff in ein Regal, entnahm ihm eine auf hellblauem Papier gedruckte Fan-Zeitschrift mit dem vielsagenden Titel Kot d’Azur, und zitierte mit ehrfurchtsvoll bebender Stimme eine seiner frühen Buchkritiken: »Widdä Agent mitte künstliche Augen ›zur Befreiungsaktion‹ – so steetat auffm Umschlach – staatet, nachm Planet vonne Gechner fliecht unti Jungs ausse Fanne haut, Mann, da kannze für, dat schreiptä Kaal Häbbät richtich

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