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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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rechts in einen Flur ab und lief eine Treppe hinunter, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm. Er beschleunigte den Schritt, als er sich den Schaden vorstellte, den Lillian der Einrichtung, den blitzenden Töpfen, Herden, Retorten zufügen konnte, ganz zu schweigen von den Lebensmitteln, die sie mit Sicherheit beschmutzen würde. Er hatte mit Makadamianüssen experimentiert, hatte versucht, eine nahrhafte Nußbutter zu entwickeln, ähnlich seiner Erdnußkreation, die den anständig denkenden Verbrauchern Amerikas eine weitere Aufstrichoption böte, um das Rind- und Schweinefleisch zu ersetzen, das sie schlemmten wie die wilden Tiere in der Wildnis Alaskas, und das letzte, was er brauchen konnte, waren Schimpansenhaare in der Mischung.
    Als er vor der Küche ankam, machte ihm die kleine Gruppe Küchenpersonal und Diätassistentinnen Platz, die ängstlich vor der Tür gestanden hatten. Jemand hatte von außen einen Keil unter die Tür getrieben, um einen Ausbruch Lillians zu verhindern, und der Doktor bückte sich forsch, um ihn zu entfernen, bevor er die Tür einen Spaltbreit öffnete und hineinspähte.
    »Sie hat mordsmäßig herumgejohlt da drin, Boss«, murmelte jemand in seinem Rücken.
    »Ja, Sir, und einen höllischen, gottserbärmlichen Krach mit den Töpfen und Pfannen und anderen Küchenutensilien veranstaltet.« Das sagte Abraham Lincoln Washington, der Mann, den der Doktor angestellt hatte, um die Küchenböden zu scheuern. »Dr. Distaso hat versucht, sie aufzuhalten, aber sie hat ihm einfach die Hose runtergerissen – an Ihrer Stelle wär’ ich vorsichtig, Doktor. Sie ist schlechtgelaunt.«
    Dr. Kellogg ignorierte sie. Das war der Augenblick, für den er geboren war, der Zeitpunkt, die Sache in die Hand zu nehmen, in die Rolle des Führers zu schlüpfen und zu handeln, während andere nur herumstanden und die Hände rangen. Er stieß kühn die Tür auf und betrat die Küche.
    Nichts. Kein Laut. Die scharfen blauen Augen überblickten den Schaden sofort – zerschlagene Lampen, umgestürzte Tische, ein aus dem Gewinde gerissener Wasserhahn und herausspritzendes Wasser –, und der unentwegt arbeitende Abakus in des Doktors auf Sparsamkeit getrimmten Gehirn übersetzte alles in Dollar und Cent. »Lillian!« rief er, und seine Stimme schloß sich um die Stille wie eine Garotte. »Lillian, komm sofort her! Böses Mädchen, böses.« Und dann stieg ihm der Gestank in die Nase, ein dumpfer, ekliger, primitiver Geruch, der vom dunkelsten Afrika kündete: Sie hatte ihren Darm entleert. Überall. Ihr Kot verschmutzte die Tische, den Boden, sogar die Wände – die unverkennbare Ausdrucksweise unzivilisierter, völlig enthemmter Gedärme. Er ging weiter, argwöhnisch, gerissen, blickte nach rechts und links, nach oben und hinter sich, sein Schritt wurde zum langsamen, lautlosen Pirschen des Jägers. Plötzlich hörte er etwas, eine leise Bewegung, und er blickte scharf nach links: nichts. »Lillian?«
    Katzenhaft ging der Doktor auf Zehenspitzen zu dem großen, gußeisernen Bottich mit der Makadamiabutter – er hatte fast einhundert Pfund von dem Zeug, geschmeidig gerührt und angedickt mit Maisstärke, und er beabsichtigte, es ein paar Patienten zum Frühstück probieren zu lassen. Auf den ersten Blick sah alles ganz normal aus, und er verspürte eine Woge der Erleichterung – die Nüsse waren den ganzen Weg von den Sandwich-Inseln gekommen, zu einem Preis, der ihn noch immer erschauern ließ. Aber dann sah er noch einmal hin und bemerkte den Fleck; seine Nase sagte ihm, um was es sich handelte.
    Als ob sie stolz auf ihr Werk wäre, tauchte in diesem Augenblick Lillian auf, langsam löste sie sich aus den Schatten, die die Mischbottiche warfen. Sie war nicht weiter als drei Meter von ihm entfernt. Der Doktor erstarrte, aufgespießt auf dem bitteren Speer der Niederlage, der ihn den ganzen Tag immer wieder gepiesackt hatte. Sie grinste, die schwarzen Gummilippen entblößten lange, sepiafarbene Zähne, und in diesem Moment sah sie George zum Verwechseln ähnlich.

3.
INNEN BLUTIG
    Dicke, nasse Schneeflocken fielen, als Will Lightbody das San verließ und forsch die Washington Avenue hinunterschritt. Tags zuvor hatte es geregnet und während der Nacht gefroren, und jetzt, am Ende eines langen grauen Dezembernachmittags, hatte es angefangen zu schneien. Selbstverständlich hatte das keinerlei Einfluß auf die Bewohner des San, die sich bei zweiundzwanzig Grad zwischen Hibiskus und Palmen aalten oder, in eine halbe

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