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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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nicht gleich wieder in Höhlen leben, damit wären alle Probleme erledigt? –, und sein nach Knoblauch stinkender Atem – der letzte Schrei, hält das Blut flüssig und kräftigt das Herz – schien die ganze Luft im Raum zu verpesten. Will sah, daß der Doktor irritiert war, daß er es nicht ertragen konnte, wenn man ihm die Schau stahl, nicht für einen einzigen Augenblick – löwenhaft, heiligmäßig, Boss von allem und jedem, wußte er doch nicht so recht, wie er mit diesem Gemüsepuristen verfahren sollte. Will genoß es, den Ärger in den Augen des Doktors aufblitzen zu sehen, und er stachelte Badger an, indem er ihm eine hinterhältige Frage bezüglich der Anti-Vivisektionisten-Kundgebung in Cleveland stellte, und als Badger den Gedanken aufnahm und darauf herumritt, machte der Doktor Anstalten, sich zu entschuldigen und weiterzugehen.
    Er kam nicht dazu.
    Plötzlich erstarb das verhaltene, höfliche Geplauder, das den Raum mit einer geselligen Atmosphäre erfüllt hatte. Es folgte ein fünfsekündiges Intervall des Staunens, während dessen die einzige Stimme, die noch zu hören war, Badgers Stimme war, isoliert und sich ihrer Isoliertheit nicht bewußt. Alle Köpfe hatten sich dem hinteren Ausgang zugewandt, wo ein Kumquatbaum mit einer blühenden Kletterpflanze und Paradiesvögeln rang. Dort stand ein Mann von mittlerer Größe, unrasiert, das Haar wild zerzaust, die Kleidung fadenscheinig, auf der sichtbaren Haut Schmutzflecken, die aussahen wie dunkelblaue Mäler. Unter einen Arm hatte er einen Stapel Zeitungen geklemmt, und mit zitternden Händen machte er sich an einer Schachtel Streichhölzer zu schaffen. Und warum kam er ihm so bekannt vor? Wo hatte Will ihn schon einmal gesehen?
    Bevor das Gemurmel wieder anheben, bevor irgend jemand irgend etwas sagen konnte, holte der Mann – er wirkte wie ein Junge, noch keine zwanzig Jahre alt; der Dreck und die Zerzaustheit erschwerten ein Urteil – ein Streichholz aus der Schachtel, zerknüllte Zeitungspapier zu einem Ball und zündete es an. Jemand schrie auf. Der brennende Ball schoß wie eine Feuerwerksrakete über die Köpfe der Anwesenden hinweg, das leise fauchende Wusch der Flammen trug ihn mit sich. Und dann entzündete der Mann einen weiteren Ball und noch einen, und plötzlich kam es zu einem allgemeinen Aufschrei. Einen Augenblick später, als der Pyromane ausgelassen durch den Raum tänzelte und seine Wurfgeschoße durch die Gegend schleuderte, brach die Hölle los.
    »George!« brüllte der Doktor, und der Doktor kannte ihn, kannte diesen hirnlosen Anarchisten mit den Papierbomben, und jetzt breitete sich in der Ecke zwischen den Topfpalmen ein Feuer aus, und die Frau im gelben Taft trug plötzlich ein helles, kleines Juwel rasch um sich greifender Flammen an der Brust. Leute rannten hierhin und dahin. Brandgeruch lag in der Luft. Ein Mann, der im Rollstuhl gesessen hatte, neben dem Fischteich, purzelte wortlos in den schilfigen Modder. Exotische Pflanzen wurden niedergetrampelt. Die Ausgänge waren verstopft. »George!« schrie der Doktor. »George!«
    Will blieb wie angewurzelt stehen. Aber er streckte eine Hand nach Eleanor aus und drückte sie an sich. »Mein Gott«, stieß sie hervor, die Schultern an seine Brust gepreßt, während Frauen kreischten, Badger Maulaffen feilhielt und der Doktor, Linniman und ein paar Pfleger sich in den Kampf stürzten, den Störenfried wie Spürhunde jagten, »was geht hier vor?«
    Eine gute Frage. Will wußte es nicht, hatte nicht die leiseste Ahnung. Aber aufgrund der Miene des Doktors mußte er annehmen, daß der Boss es sehr wohl wußte.

2.
DER BRIEF UND DIE NACHRICHT
    Fest an sein hämmerndes Herz gedrückt, in der linken Brusttasche des Anzugs, in dem er Mrs. Hookstrattens $3.849,00 von New York hergebracht hatte, trug Charlie Ossining den Brief, der vor zwei Tagen bei Mrs. Eyvindsdottir eingetroffen war. Er trug den Brief an einer Stelle, wo er ihn auf seiner Haut spüren konnte, trug ihn auf eine Weise, wie ein Mönch sein härenes Hemd tragen mochte, voller Furcht und Zittern. Von dem Augenblick an, da er eingetroffen war, hatten sich seine Aussichten, die sowieso schon düster genug gewesen waren, in nichts aufgelöst, waren zu einem Traum geworden, den man ausrangieren, zusammenknüllen und in den Müll werfen konnte wie den Lumpen, mit dem sie im Red Onion die Spucknäpfe säuberten. Er nahm keine Notiz von der Sonne, den knospentreibenden Bäumen, den Narzissen und Azaleen, dem Hartriegel,

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