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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Dinnerjacket beisammen und plauderten an der Milchbar und unter den Palmwedeln – und niemand nahm von ihm Notiz. Niemand gönnte ihm einen zweiten Blick, und er seinerseits sah keine muskelprotzigen Pfleger, keine gebieterischen kleinwüchsigen Doktoren und keine Lightbodys, weder männlichen noch weiblichen Geschlechts. Noch besser war, daß Mrs. Hookstratten von den vielen Aufmerksamkeiten, die ihr zuteil wurden, abgelenkt war – man setzte sie in einen Rollstuhl, ihr Gepäck war bereits unterwegs in ihr Zimmer, und ob sie einen vegetarischen Lacto-Ovo-Imbiß wünsche? –, und sie ließ ihn leichten Herzens ziehen. Für heute. Gerade als er gehen wollte – er hatte den Hut bereits wieder auf den Kopf gedrückt, und das Blut floß wieder ruhiger durch seine Adern –, hielt sie ihn am Ärmel fest. »Morgen, Charles«, sagte sie und zog seinen Kopf zu sich heran. Sie war besänftigt, das sah er, aber ihre Augen waren wie Nadeln, die stachen und sondierten. »Morgen – gleichgültig, wie erschöpft ich bin oder wie beschäftigt du bist – will ich dich für mich allein. Ganz für mich allein.« Sie rieb ihre Wange an der seinen und machte ein schmatzendes Geräusch. »Und als allererstes will ich dieses Wunder von einer Fabrik sehen.«
    Vom Sanatorium ging Charlie direkt zum Red Onion, wo er durch die Tür stürmte, an die Bar hastete und zwei Whiskeys und zwei Bier hinunterstürzte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Morgen. Was sollte er tun? Seine Möglichkeiten verringerten sich rapide. Natürlich könnte er morgen früh zur Bank gehen, Will Lightbodys tausend Dollar abheben und wie Bender verschwinden – die ganze Angelegenheit wie ein Buch zuschlagen, und damit wäre der Fall erledigt. Dann müßte er niemandem mehr Rede und Antwort stehen, keine Spielchen mehr spielen, keinen Rechtsanwälten mehr zuvorkommen oder Tantchen Hookstratten beschwichtigen … aber er wäre wieder da, wo er angefangen hatte, zu einem Leben kleiner Betrügereien und noch kleinerer Erwartungen verdammt. Tausend Dollar reicher, das ja, aber die würden nicht lange reichen – und er würde sich für den Rest seines Lebens verfolgt vorkommen.
    Nein. Was er brauchte, war Kapital, mehr Kapital. Per-Fo war tot – vergewaltigt und ermordet von diesem Dreckskerl Bender –, aber das hieß nicht, daß auch Charlie sich niederlegen und sterben mußte. Er kannte das Frühstückskostgeschäft mittlerweile in- und auswendig – alles, was er brauchte, war ein neuer Anfang, ein neuer Name. Himmel, ihm fielen Hunderte ein – Zip, Flash, Fruto-Fruto, Flakies, Crunchies, Chewies … Ja, sicher – und Klotzie, die Frühstückskost am Bein. Er seufzte. Bestellte noch einen Whiskey. Es mußte einen Ausweg geben.
    Als er wieder aufsah, stand Harry Delahoussaye neben ihm, einen Fuß auf die Messingstange gestellt, den Ellbogen auf die Theke gestützt. Delahoussaye musterte ihn, und langsam begann sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breitzumachen. Er war wie immer zwanglos schick gekleidet, trug einen neuen Anzug aus irgendeinem importierten Material und eine karierte Seidenkrawatte. Charlie betrachtete ihn und sah sich selbst, einen unbedeutenden Mann, der von seinem Charme und seinem Witz lebte und nicht weiter kam als bis zur nächsten Austernbar – für jeden C.W. Post oder Will Kellogg gab es eine Million Delahoussayes. »Was gibt’s Neues, Charlie?« sagte Delahoussaye. »Wie läuft das Frühstückskostgeschäft?«
    Bildete er es sich ein oder schrie Delahoussaye? »Pst«, warnte Charlie und nahm ihn beim Arm. Er sah sich nervös im Raum um nach Hotelangestellten, die gerade keinen Dienst hatten, Rechtsanwälten, verärgerten Investoren. Niemand kümmerte sich um sie, alle waren ins Gespräch vertieft. Der Mann hinter der Theke sagte etwas über ein Pferd zum Mann links von Charlie, wandte sich ab und zapfte ein Bier.
    »Nicht so gut, was?« sagte Delahoussaye, und sein Grinsen wurde breiter, als ob das lustig wäre, als ob das ein Witz wäre. »Na los, ich lad’ dich zu einem Drink ein. Was willst du?«
    Charlie wollte Whiskey. Delahoussaye bestellte, der Barkeeper wischte die glänzende Theke ab, stellte zwei Gläser vor sie hin und sah gedankenverloren zu, wie sie die Gläser an die Lippen hoben, bevor er davonschlurfte, um einen anderen Gast zu bedienen. »Es gibt da ein paar Probleme«, gab Charlie zu und stellte das leere Glas ab, auch er grinste jetzt, legte Tapferkeit an den Tag, »aber nichts, womit ich nicht fertig würde. Und

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