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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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natürlich. Unsere Patienten brauchen Erholung, Ruhe – jede Art sexueller Stimulation wäre verhängnisvoll.«
    Sexuelle Stimulation. Warum klangen diese beiden Worte plötzlich so folgenschwer?
    »Entspannen Sie sich«, flüsterte sie, und plötzlich spürte Will die heiße, flüssige Überraschung, seine Eingeweide wurden überflutet, als wäre ein Damm gebrochen, als würden alle tropischen Flüsse der Welt durch ihn hindurchströmen, ihn bewässern, waschen, reinigen, in seinen verborgensten Winkeln und Nischen schäumen in einem gewaltigen, kathartischen Rauschen. Es war der peinlichste und köstlichste Augenblick seines Lebens.
    In dieser Nacht schlief er wie ein Baby.
     
    Am nächsten Morgen, nach einem Klistier, einem Sitzbad und einer Trockenmassage, alles verabreicht von einer Schwester, die aussah wie ein Mann und so mechanisch arbeitete, wie Schwester Graves zärtlich vorgegangen war, humpelte Will aus eigener Kraft durch den Korridor und fuhr mit dem Aufzug zum Speisesaal hinunter, um zu frühstücken. Als diese zweite Schwester – Schwester Bloethal – mit dem Apparat für die Darmspülung aufgetaucht war, hatte Will protestiert. Es war schon verwirrend genug gewesen, daß die bildschöne und feinfühlige Schwester Graves ihn dieser Behandlung unterzogen hatte, aber diese Frau – nun, er empfand es als absolut unmöglich. »Das hatte ich schon gestern abend«, sagte er, und ein nasaler Ton schlich sich in seine Stimme, während er auf dem Bett eine defensive Haltung einnahm und befangen seinen baumwollenen Bademantel zurechtzog. Schwester Bloethal, in den Vierzigern, mit Armen wie Schenkel, Schenkeln wie Getreidesäcke, mit einem viereckigen Gesicht und einem Lächeln, das lauter schiefe Zähne enthüllte, brach in Lachen aus. »Verzeihen Sie, wenn ich es einfach frank und frei sage, Mr. Lightbody, aber Sie müssen noch eine ganze Menge lernen.«
    Sie meinte, wie Will noch herausfinden sollte, Dr. Kelloggs Besessenheit mit sowohl innerer als auch äußerer Sauberkeit. Der Boss, ordnungsliebender Sohn eines Besenmachers, glaubte nicht nur an eine ballaststoff- und zellulosereiche Ernährung, um die Gedärme anzuregen, sondern er war auch ein strikter Anhänger der Fünf-Klistiere-am-Tag-Vorschrift. Zu dieser Behandlungsweise inspiriert hatte ihn ein paar Jahre zuvor ein Aufenthalt in Afrika. Er hatte dort genug Muße gehabt, um einen Trupp Affen zu studieren, die zwischen ausgebleichten Felsen und toten Bäumen in einer Oase bei Oran lebten. Der Doktor studierte sie ein Woche lang, manchmal bis zu sechzehn Stunden am Tag, in der Hoffnung, von diesen in Horden lebenden, pflanzenfressenden Primaten Einsichten in eine menschengerechte Ernährungsweise zu gewinnen. Was er entdeckte, was man so leicht hätte sehen können und bislang doch nicht gesehen hatte, war, daß die Affen ihren Darm nahezu unablässig entleerten. Praktisch jeder Bissen, den sie aßen, wurde von einer komplementären Entleerung begleitet.
    Ganz einfach. Ganz natürlich. So wie es sein sollte. Niemand in diesem Stamm litt an Verstopfung, Autointoxikation, Fettleibigkeit, Neurosen, Hyperchlorhydrie oder Hysterie. Aber der Mensch litt daran. Weil der Mensch, so wie die Dinge nun mal lagen, seinen Darm zivilisiert, domestiziert hatte. Im täglichen Leben konnte der Mensch die von ihm produzierten Abfallprodukte nicht ausscheiden, wann es ihm paßte – die Gesellschaft würde einfach nicht mehr funktionieren, und die Schweinerei … nun, meinte der Doktor, an die Schweinerei sollte man besser gar nicht denken. Wie auch immer, Dr. Kellogg verdankte der Beobachtung der Affen von Oran eine seiner größten Entdeckungen: das Bedürfnis, die Notwendigkeit, das absolute Erfordernis, dem Darm auf mechanische Weise bei der Rückgängigmachung des Schadens beizustehen, den die Zivilisation über ihn gebracht hatte. Deswegen fünf Klistiere am Tag, mindestens. Deswegen saß Will auf der Toilettenschüssel, und deswegen hielt Schwester Bloethal die bereits vertraute Apparatur in Händen.
    An der Tür zum Speisesaal traf Will auf eine mütterliche kleine Frau mit enormem Busen und winzigen tiefliegenden Augen, die so blau waren, daß sie künstlich wirkten. Auf einer Unmenge maisfarbenen Haars saß eine steife weiße Haube. »Mr ….?« fragte sie, das Battle-Creek-Sanatorium-Lächeln in ihre Gesichtszüge graviert.
    Groß, befangen, noch immer unter dem kurz zurückliegenden Erlebnis im Badezimmer leidend und mit einem Brennen in den

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