Willkommen in Wellville
Eingeweiden, warf ihr Will einen knappen Blick zu. »Lightbody«, sagte er in seinem hohl dröhnenden Tonfall. Ein paar der Gäste in dem riesigen Speisesaal blickten von ihren Tellern auf.
»Ja, natürlich«, erwiderte die Frau, »ich habe Sie hier auf meiner Liste. ›Lightbody, William Fitzroy‹.« Sie hielt inne, wartete auf Bestätigung. Will nickte. »Hier steht, daß Sie, bis Ihre Untersuchungen abgeschlossen sind, auf eine proteinarme, abführende, nichttoxische Diät zu setzen sind. Und, oh, entschuldigen Sie« – sie streckte ihm die Hand entgegen –, »ich bin Mrs. Stover, die Chefdiätistin. Während Ihres Aufenthaltes hier bei uns werde ich Ihre Diät überwachen, natürlich gemäß den Direktiven Ihres Arztes. Wenn Sie jetzt kurz einen Blick in den Speisesaal werfen wollen, werden Sie ein paar Mädchen mit Hauben wie meiner sehen. Sehen Sie sie? Dort, das Mädchen dort, das ist Marcella Johnson, sie gehört zu mir. Wenn Sie Hilfe brauchen oder Rat, wie Sie Ihre Mahlzeiten wissenschaftlich zusammenstellen sollen, dann winken Sie bitte eine von uns zu sich, ja?«
Will nahm ihre Hand, ließ sie wieder los und versprach, daß er es tun würde. Er wollte weitergehen, aber Mrs. Stover blieb im Eingang stehen, blockierte ihm den Weg zu den Nahrungsmitteln, während andere Patienten zwanglos an ihr vorbeischlenderten und sich in diesem großartigen Saal, in dem es summte wie in einem Bienenkorb, zu ihren Plätzen begaben. Will machte sich nichts aus Essen – er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er zum letztenmal Hunger verspürt oder wann er zum letztenmal irgend etwas gegessen hatte, was seinen Verdauungstrakt nicht in Aufruhr versetzt hatte –, aber andererseits war er auch nicht besonders versessen darauf, wie ein Idiot den ganzen Morgen auf der Schwelle herumzustehen, während ihn mehrere Hundert wiederkäuende Esser verstohlen beobachteten. »Ja?« fragte er. »Ist noch was?«
»Nur noch eine Sache.« Mrs. Stover lächelte noch etwas breiter. Soviel Fröhlichkeit, dachte Will bitter. Und wozu? Alle hasteten sie ihrem Grab entgegen, wissenschaftliche Lebensweise hin oder her. »Wo würden Sie gerne sitzen? Wir versuchen, unseren Gästen entgegenzukommen, was die Sitzordnung anbelangt, aber natürlich kann nicht jeder neben einem Horace Fletcher oder einem Admiral Nieblock sitzen.«
Will zuckte die Achseln. »Bei meiner Frau natürlich.«
Mrs. Stovers Lächeln zog sich zusammen, bis sich auf ihren trockenen, etwas vorwurfsvoll geschürzten Lippen nur noch eine Andeutung davon abzeichnete. Sie sah verletzt aus, beleidigt. »O nein«, flötete sie, »das wollen Sie doch nicht wirklich, oder? Glauben Sie nicht, daß Sie sich lieber unters Volk mischen, ein paar der anderen Gäste kennenlernen wollen?«
Das wollte Will eigentlich nicht.
Mrs. Stover schien geknickt. Sie sprach sehr schnell, fast ohne Luft zu holen. »Ich werde mein Bestes tun, das heißt fürs Abendessen, aber ich fürchte – nun, ich fürchte, ich habe Eleanor, Mrs. Lightbody – sie ist so eine charmante Frau, Sie haben wirklich Glück gehabt –, bereits einen Platz zugewiesen, und ihr Tisch, Nummer 60, ist im Augenblick voll besetzt. Wollen Sie wirklich nicht bei jemand anders sitzen?«
»Habe ich die Wahl?«
Mrs. Stover musterte eine Weile den Boden, bevor sie antwortete, und als sie antwortete, war ihr Lächeln ein wenig verkrampft, und sie schien den Ton nicht halten zu können. »Nein«, sagte sie, »leider nicht.«
Eine Kellnerin, ein kräftiges junges Ding, deren Haarfarbe und Ohrenform ihn an Schwester Graves erinnerten, führte ihn in den riesigen, palmenbestückten Raum mit den Oberlichten und den zwei parallelen Säulenreihen. Will versuchte, sich aufrecht zu halten, war sich der kritischen Blicke der anderen Patienten bewußt, aber er fühlte sich instabil und schwach, und die Schwerkraft schien unverhältnismäßig stark auf seine Schultern einzuwirken. Er nahm eine Menge geneigter Köpfe wahr, hundert kahle Stellen, Schnurrbärte, Vollbärte, die Haareinlagen und Haarteile in den monumentalen Frisuren der Frauen, das Aufblitzen von Tafelsilber und das gelassene, aber beständige Hin und Her der Scharen von Kellnerinnen in schwarzen Kleidern und weißen Schürzen. Um ihn herum blubberte das Gemurmel der Unterhaltungen: Lachen, schlagfertige Entgegnungen, Gesprächsfetzen, in denen es um Wirtschaft und Politik ging – er hörte ganz eindeutig den Namen Teddy Roosevelt, als er an einem Tisch mit sechs
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