Willkür
als habe Jardine angebissen. Wyatt würde nur schwer auf ihn verzichten können, schließlich handelte es sich bei Jardine um einen Kenner der Szene in Sydney, er wusste über das Syndikat Bescheid und er kannte Melbourne in und auswendig. Vor allem aber beherrschte er sein Fach und man konnte ihm vertrauen — sofern Wyatt überhaupt in der Lage war, jemandem zu vertrauen. »In gewisser Hinsicht kann man dem Syndikat leichter zu Leibe rücken als einem Seven-Eleven an der Ecke.«
Jardines Bemerkung verriet Wyatt, dass ihre Überlegungen in dieselbe Richtung gingen.
»Inwiefern?«, fragte er.
»Sie rechnen nicht mit Problemen durch Freelancer«, erklärte Jardine. »Jungs wie du rauben Banken aus, die von der Organisation sind für die illegalen Geschäfte zuständig. Alles ist fein säuberlich aufgeteilt. Die eigentlichen Gegner des Syndikats sitzen bei den Behörden und der Polizei und um die hat man sich gekümmert. Hier und da ein paar Tausender, die den Besitzer wechseln, und schon fühlt man sich sicher.«
»Hm!«, sagte Wyatt.
Jardine nahm sein Glas zur Hand, betrachtete es und stellte es wieder ab. »Zwei Bedingungen. Erstens, mein Name bleibt draußen. Zweitens, was dein Duell mit Kepler betrifft, das ist allein deine Sache.«
Wyatt schob nun seinerseits seinen Scotch zur Seite. »Einverstanden.«
»Jetzt zum Wesentlichen«, sagte Jardine, »mir sind zwei, drei Operationen des Syndikats bekannt, mit denen wir anfangen könnten.«
»Ich hab wenig Zeit«, warf Wyatt ein, »und noch weniger Geld, eine größere Sache zu finanzieren.«
»Hör zu, Kumpel«, erwiderte Jardine, »mit diesen ganz speziellen Sachen beschäftige ich mich schon seit Jahren.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Nur Interesse halber, wenn du verstehst, um nicht aus der Übung zu kommen. Der springende Punkt dabei ist, sie sind relativ simpel, man muss nicht viel investieren, weder finanziell noch zeitlich oder organisatorisch — «
»Wann?«
»Morgen früh legen wir los.«
FÜNFZEHN
Mittwoch, am späten Nachmittag, erschien eine Mitarbeiterin der Justizvollzugsanstalt und eröffnete Ross und Eileen, dass ihr Sohn bis zu Prozessbeginn im Untersuchungsgefängnis in Bolte sitzen werde. Sie ließ die messingfarbenen Schlösser ihres neuen braunen Aktenkoffers aufschnappen und fügte hinzu: »Für zirka sechs Wochen.«
Der Aktenkoffer passte nicht zum Rest ihrer Erscheinung. Eileen sah sich den Rock der Frau genauer an. Er war aus Searsucker, offenbar ständig im Einsatz und demzufolge zu häufig gewaschen worden. Dazu trug sie ein weißes T-Shirt, dessen Aufdruck die Gefährdung des Regenwaldes anprangerte, und eine ausgeblichene Jeansjacke. Keinen Schmuck. Zu allem Überfluss präsentierte sie die Druckstellen und Hühneraugen ihrer krummen Zehen in offenen Schuhen. Mit einem Einkommen von ungefähr vierzigtausend Dollar im Jahr sollte es dieser Frau nicht schwer fallen, ein wenig mehr auf ihr Äußeres zu achten. Immerhin hatte sie es mit Publikum zu tun. Fand Eileen und verschränkte die Arme über ihrem üppigen Busen. »Bolte?«, fragte sie.
Die Frau schob eine Informationsbroschüre über den Küchentisch. »Private Anstalt. Existiert erst seit drei Monaten.«
Eileen sah Ross fragend an. Der saß auf einem Küchenstuhl, den rechten Arm angewinkelt auf der Rückenlehne, mit dem linken langte er nach dem Aschenbecher auf dem Tisch. Er schnippte einen Zentimeter Asche weg, führte die Zigarette wieder an die Lippen, nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch in Form eines Ringes in Richtung Decke. Er würde ihr nicht beispringen. Zwar hörte er sich an, was die Frau zu erzählen hatte, aber Eileen führte das Regiment, also hatte er zu schweigen. Außerdem war seine Stimmung seit Nialls Verhaftung äußerst düster und er stand kurz davor, sich von seinem Sohn zu distanzieren.
»Es wird von einem Privatunternehmen geführt«, sagte die Frau, »so wie die Anstalten in Queensland.«
Eileen überflog die Broschüre. Gefällige Fotografien von lang gestreckten, schmalen Gebäuden, die in Form eines Sechsecks angeordnet waren, in der Mitte ein Geflecht gesicherter Gehwege; ein paar dunkle Flecken stellten vermutlich Bäume dar und einige launige Zeilen sollten die Philosophie der Institution erläutern. Das Geld kam von US-amerikanischen und australischen Investoren.
»Öfter mal was Neues«, bemerkte Eileen unbeeindruckt. »Und wie sind die Schließer in so einer Anstalt?«
Die Frau faltete ihre kleinen Hände
Weitere Kostenlose Bücher