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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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völlig im Bilde, was Wyatts Pläne betraf. Ross hatte es ausgeplaudert. Die warme, intime Atmosphäre ihres Schlafzimmers spät in der Nacht hatte wieder einmal seine Zunge gelöst; Ross liebte es, dieses Gemurmel am Ende eines Tages, kurz vor dem Einschlafen, nachdem sie sich geliebt hatten, wenn er, an sie geschmiegt, seine Hoffnungen und Zweifel mit ihr teilen konnte. Es war ein fester Bestandteil ihrer Beziehung, seit ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Sie unterdrückte ihre Schuldgefühle und sagte: »Wahrscheinlich hast du Recht.«
    »Pass auf, sprich mit Napper«, Nialls Worte überschlugen sich förmlich, »sag ihm, ich will sofort hier raus, sag ihm, ich will eine Bewährungsstrafe.«
    »Wäre es nicht besser, wenn du mit ihm sprichst?«
    »Nein, Herrgott noch mal.« Niall lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Wenn ich das mache, ist mein Ruf gleich im Arsch. Die andern halten mich doch sofort für einen Verräter, wenn ihnen zu Ohren kommt, dass er hier gewesen ist. Dann wach ich irgendwann mal mit ’nem spitzen Gegenstand im Leib auf. Nein, Mum, das musst du machen.« Eileen schloss die Augen und stellte sich einen Kugelschreiber vor, unter dessen Clip eine Rasierklinge steckte, dann eine Gabel aus der Kantine, deren Griff durch eifriges Schleifen zu einer scharfkantigen Waffe mutiert war. Das Krächzen eines Lautsprechers drängte sich zwischen ihre Visionen. Zwar konnte man kaum etwas verstehen, doch als die Häftlinge aufstanden und die Schließer wieder in den Besucherraum kamen, wusste Eileen, dass die Besuchszeit um war. »Kein Wort davon zu Dad!«
    »Mum«, sagte Niall, »du musst Napper überzeugen, so schnell wie möglich.«
    Sie verließ die Anstalt. Die Verzweiflung in Nialls Augen, das Zittern in seiner Stimme machten sie mutlos, so dass der Anblick der vielen Türen und Tore, dass jeder einzelne dieser trägen Wärter, die hier als menschliche Wesen durchgingen, ihr um so verhasster wurden.

SECHZEHN

    Vor gerade mal zwei Tagen war Napper als Erstes mit den unangenehmen Neuigkeiten seines Anwalts konfrontiert worden, dann mit der Handtuchattacke einer Horde Frauen und heute Morgen nun, auf dem Revier, war es der Anwalt seiner Exfrau, der ihn anrief, um ihn an den Gerichtsbeschluss zu erinnern und daran, dass er mit neuntausend Dollar im Rückstand war. Jetzt klopfte Napper an eine Haustür in Richmond, ein Akt, von dem er sich einen Zuschuss zur Reduzierung seiner Verbindlichkeiten erhoffte.
    Das Haus gehörte einem gewissen Malan und schien ein Hort der Verbote und Warnhinweise zu sein. Schilder mit der Aufschrift ›Zutritt untersagt‹ oder ›Videoüberwacht‹ prangten am Tor und am Zaun, an den Fenstern und an sämtlichen Türen, und glaubte man dem Geräusch, das gerade von innen zu hören war, dann war die Haustür dreifach gesichert. Als ob das Junkies abschrecken könnte, dachte Napper und wartete geduldig.
    Malan öffnete die Tür. Schmächtig, leicht ergraut, die Lippen in dem keilförmigen Gesicht zu einem traurigen Schmollmund verzogen — Napper hatte immer den Eindruck, dass dieses Gesicht unvollständig war, in seinen Proportionen nicht stimmig. »Stadtrat Malan höchstpersönlich!«, rief Napper. »Genau zu dem wollte ich.«
    Malan sah ihn argwöhnisch an. »Worum geht’s?«
    »Business.«
    Malan trat beiseite und ließ Napper herein. Drinnen war es heiß und es roch abgestanden. An der Schwelle zu einem der Zimmer tauchten vier Katzen auf, neugierig, wer da gekommen sei. Nappers Blick fiel auf den Läufer im Flur; er war voller Katzenhaare. Malan ging voran und führte seinen unverhofften Gast in einen Raum am Ende des Flurs. Erst nachdem Napper sich in einen Sessel hatte fallen lassen, nahm Malan selbst Platz. »Was wollen Sie?«
    »Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an unsere kleine Unterhaltung erinnern«, sagte Napper, »neulich, auf der Spendenparty für die ALP.«
    »Ich erinnere mich.«
    Malans Tonfall klang bissig, misstrauisch. Napper hob beschwichtigend die Hand. »Kein Grund zur Panik, alter Freund. Ich bin nicht hier, um Sie festzunehmen.«
    »Es war lediglich eine Unterhaltung«, sagte Malan. »Außerdem hatte ich getrunken. Sie haben also nichts gegen mich in der Hand.«
    Napper sah sich in dem abgedunkelten Zimmer um. »Ein bisschen Tageslicht könnte nicht schaden.« Betont gelangweilt fuhr er mit den Fingern durch einen Stapel Prospekte und Zeitschriften, der neben seinem Sessel in einem Zeitungsständer lag. »Ach ... was haben wir denn da?« Er

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