Willkür
habt mir Letterman auf den Hals gehetzt, ich hab ihn ebenfalls ausgeschaltet.«
In Wyatts Stimme schwangen Emotionen mit, zum ersten Mal seit langer Zeit. Es fiel ihm auf und er begrüßte es. Er trauerte der gewohnten Gelassenheit nicht nach, der Sicherheit, mit der er Geldtransporter überfiel oder Banken ausräumte. Diesmal ging es um Rache, nicht um Profit. Diesmal nahm er es persönlich und das hatte etwas Reinigendes. Er drückte jemandem seinen Willen auf, der ihm an den Kragen wollte. Zwangsläufig kamen Gefühle ins Spiel. Objektiv zu sein war dabei nicht möglich.
Er stieß Towns die .38er ziemlich unsanft in die Rippen. »Ich muss zu Kepler.«
»Um ihn umzubringen? Das werden wir zu verhindern wissen. Wir werden Sie aufhalten, entweder hier und jetzt oder bei ihm. Das garantiere ich Ihnen.«
»Ich habe kein Interesse daran, ihn umzubringen. Ich will mit ihm reden. Ihm ein Geschäft vorschlagen.«
Der Bentley hielt an, um einen Krankenwagen passieren zu lassen. Beim Klang der Sirene zuckte Wyatt unwillkürlich zusammen. Ebenso Towns. Als der Wagen wieder anfuhr, sagte Wyatt: »Wenn Sie mich nicht zu Kepler bringen, mache ich weiter wie bisher. Eines Tages kriege ich Kepler persönlich dran, das garantiere ich Ihnen.«
»Was für ein Geschäft?«
»Bringen Sie mich zu Kepler.«
Inzwischen war der Bentley einmal um den Block gefahren und schob sich durch den stockenden Verkehr Richtung Blumenkiosk. Passanten auf dem Weg zur U-Bahn streiften die spiegelblanke Oberfläche der Luxuskarosse mit leicht apathischem Blick. Towns rutschte auf seinem Platz hin und her. »Was auch immer Sie mit Kepler zu besprechen haben, Sie können es auch mit mir besprechen.«
Wyatt schüttelte den Kopf, nah dran, die Beherrschung zu verlieren. Was war los mit diesem Towns? Warum musste er quasi mit ihm verhandeln? Seine Gesichtszüge entspannten sich in dem Augenblick, als er seine .38er abfeuerte. Dicht neben Towns’ linkem Oberschenkel, seiner Taille und seiner linken Schulter schlugen Geschosse in das Leder ein.
Der Bentley brach aus, holperte über den Bordstein und kam in einem spitzen Winkel auf dem Gehweg zum Stehen. Mit wildem Blick drehte sich der Fahrer um, doch Wyatt gab ihm lässig ein Zeichen mit der Waffe. »Fahr weiter«, sagte er und drückte noch mal ab. Die Einschüsse hinterließen dunkle Löcher in dem cremefarbenen Leder.
Bereits beim ersten Schuss hatte Towns die Luft angehalten. Er sah aus, als wünsche er sich, unsichtbar zu sein. Jetzt wagte er wieder zu atmen und sein Brustkorb hob und senkte sich.
»Okay, okay«, er beugte sich nach vorn zum Fahrer, »zu Kepler.«
»Ins Penthouse?«
»Ja.«
Wyatt sah aus dem Fenster, er spürte seinen Herzschlag. Die Fahrt führte vorbei am Hyde Park, wo die Bäume noch ziemlich kahl waren. Zwei Tage lang hatte das Wetter verrückt gespielt, Frühjahrsstürme und Regen, Sydney war feucht und dampfte, eine Stadt voller nervöser, eingepferchter Menschen und vom Sturm gebeutelter Grünanlagen. Doch jetzt hangelte sich die späte Nachmittagssonne durch die dürren Äste. Auf einer Parkbank schäkerten zwei schwarze US-Marines mit ein paar Schulmädchen, Spaziergänger, ausgestattet mit Fotoapparaten, Cityrucksäcken oder Gürteltaschen, bevölkerten die Wege, dazwischen Radfahrer und Läufer.
Wyatt beobachtete, wie sich ein Junge jemandes Geldbörse schnappte und auf seinen Roller Blades eilig das Weite suchte. Jeder sah den Jungen davonschießen, niemand hielt ihn auf. Das ist Sydney, dachte Wyatt. Er schwieg und zwang sich zur Gelassenheit.
Das Penthouse lag am Yachthafen von Darling Harbour. »Du bleibst im Wagen«, befahl Wyatt dem Fahrer.
Der sah seinen Boss an und der Boss nickte. Towns musste eine Plastikkarte benutzen, um sich und Wyatt Zugang zum Gebäude zu verschaffen. Sie durchquerten das Foyer, einen modernen Tempel aus schwarzem Marmor und dickem Glas. Im Fahrstuhl drückte Keplers Mastermind den obersten Knopf und schon wurden sie sanft emporgetragen. Die Tür öffnete sich und sie standen in einem schmalen Flur. Wieder musste Towns die Karte einsetzen, nur so kamen sie ins Penthouse. Wyatt sah sich um: Der Teppich war dick, das Sofa aus Leder, an den Wänden Bilder von Ken Done. Kein Mensch da außer ihnen. »Wo ist er?«
In diesem Moment hörten sie einen gekünstelten Aufschrei aus einem der Nebenzimmer. Towns verzog keine Miene. »Dreimal dürfen Sie raten.«
»Mal sehen, ob er eine gute Figur macht«, sagte Wyatt und drückte Towns
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