Willkür
meine Stärken. Vertrau mir, Liebes.« Es war eine Frage von Sieg oder Niederlage. Eine Sekunde später seufzte sie und Bax wusste, er hatte wieder einmal gewonnen.
SIEBENUNDZWANZIG
Die erste Zusammenkunft in Melbourne war für Montag-nachmittag, siebzehn Uhr, angesetzt. In einem Gebäudekomplex am Rande der Innenstadt hatte das Syndikat eine gesamte Etage angemietet. Um dorthin zu gelangen, stiegen Jardine und Wyatt an der U-Bahn-Station Parliament aus und gingen durch die Treasury Gardens. Der Spaziergang durch die Parkanlagen war Jardines Idee gewesen. »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit«, sagte er und genoss sichtlich den Anblick der Baumwipfel über ihnen und das warme Sonnenlicht. Dabei zeigte er auf verschiedene Bäume und nannte sie beim Namen. Wyatt bekundete scheinbar Interesse und Zustimmung an den passenden Stellen, war tatsächlich jedoch mehr damit beschäftigt, mögliche Verfolger auszumachen.
»Florida«, bemerkte Jardine, als sie an einer Ampel auf Grün warteten. Er meinte das Gebäude auf der anderen Straßenseite, in dem sich die besagte Wohnung befand, seine niedrige Architektur, die scharf gezeichnete Dachsilhouette, die hellgrüne Fassade mit blauen Türen und Fensterrahmen. An verschiedenen Punkten der Fassade hatte man u-förmige blaue Röhren installiert. Größere dieser Röhren, die aussahen wie überdimensionale Lutschstangen, verliefen ohne ersichtlichen Zweck auch in Höhe des Gehwegs. »Erinnert mich irgendwie an Miami Vice«, sagte Jardine und Wyatt verstand kein Wort.
Sie standen jetzt vor dem Eingang. Es war die Art Gebäude, deren Verwaltung sich von sieben Uhr morgens bis Mitternacht einen Pförtner leistete. Wyatt drückte auf den Klingelknopf und richtig, sofort schob ein Mann in einer schlecht sitzenden Uniform sein Gesicht vor ein Mikrophon. Aus dem Lautsprecher neben dem Klingelknopf ertönte ein verzerrtes »Kann ich Ihnen helfen, meine Herren?«
»Wir sind mit Mr. Towns verabredet«, sagte Wyatt, »zweiter Stock.«
Der Pförtner glitt mit dem Zeigefinger eine Liste entlang, Wyatt sah, wie sich die Lippen des Mannes bewegten, dann ein Nicken und im selben Moment ertönte der Summer; die Tür war offen.
Sie nahmen den Aufzug. In der zweiten Etage wurden sie in einen engen Flur entlassen, in dem es nur eine Tür gab. Wyatt klopfte. Towns öffnete und bat sie in einen lang gestreckten Raum mit niedriger Decke. Die Wände waren von einem zarten Gelb, auf dem Boden lag ein dicker Teppich und zwei Männer erhoben sich aus schwarzen Ledersesseln.
Wyatt kannte Towns bereits, wusste, was er von ihm zu halten hatte, und konzentrierte sich auf die beiden anderen. Der Jüngere — Towns stellte ihn als Drew vor — trug einen schwarzgrau melierten Anzug, ein graues Hemd und eine rote Fliege. Er war um die dreißig, beinahe kahlköpfig und Wyatts Einschätzung nach charakterisierten ihn sein hungriger Gesichtsausdruck und die gepflegten Hände als einen Mann, der sich bei seinem kriminellen Tun nicht schmutzig machen musste. Als wolle er Wyatts Eindruck bestätigen, erklärte Towns: »Drew ist unser Wirtschaftsprüfer.«
Der Zweite verkörperte die Rohheit der Straße. Er hätte der Bruder des vermeintlichen Gewichthebers sein können, der zusammen mit Rose versucht hatte, Wyatt nahe der Lygon Street zu stellen. Um die fünfundzwanzig, kräftiges Kinn und kurze schwarze Haare, ein Mann, der nicht nur Gelassenheit ausstrahlte, sondern auch Kraft gepaart mit Würde — und Gefährlichkeit. »Das hier ist Hami«, sagte Towns, über Hamis Funktion sagte er nichts. Echter Neuseeland-Schrank, dachte Wyatt und gestattete Hami die kleine Provokation, ihm bei der Begrüßung fast die Hand zu zerquetschen.
»Setzen Sie sich«, sagte Towns, »Kaffee kommt gleich.«
Wyatt überdachte Keplers Besetzung. Towns für die Verhandlung mit den Mesics, Drew für die Prüfung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und Hami für den Fall, dass Körpereinsatz vonnöten war. »Nur Sie drei?«
»Wieso? Meinen Sie, wir seien zu wenig?«, fragte Drew.
Er sprach durch die Nase und sein Tonfall verriet den missmutigen Zeitgenossen, was Wyatt bewog, ihn ein weiteres Mal zu mustern. Drew stand der Ehrgeiz ins Gesicht geschrieben, Ehrgeiz und Dünnhäutigkeit. Vermutlich wäre er gern an Towns’ Stelle gewesen, doch Towns war clever und hatte sicher Ambitionen, lange zu leben.
»Nicht unbedingt. Ich möchte mich in den nächsten Tagen nur nicht ständig an neue Gesichter gewöhnen müssen«, erwiderte
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