Willkür
einem kleinen Werkzeug zurück. »Ich habe nur eine hervorragende Blechschere.«
»Komm«, sagte Wyatt zu Jardine und sie verließen den Laden. »Schauen Sie doch nächste Woche noch mal vorbei!«, rief ihnen der Mann hinterher.
Der zweite Laden wurde von einem griesgrämigen Ehepaar geführt. Sie blickten Wyatt und Jardine nur ausdruckslos an, ihnen schien nichts zu entgehen. Sie hatten in ihrem Leben schon Haarsträubendes gehört und waren auch heute auf alles vorbereitet.
»Wir suchen einen robusten Seitenschneider.«
Von der Frau kam keinerlei Reaktion, ihr Ehemann atmete hörbar aus, unklar, ob aus Belustigung oder Zynismus. »Das kann ich mir vorstellen«, sagte er.
Wyatt wartete ab.
Nichts geschah. Schließlich sagte der Alte: »Haben wir nicht im Sortiment.«
Sie betraten die dritte Pfandleihe. Aber diesmal musste Wyatt gar nicht erst fragen. Ein Seitenschneider, zirka ein Meter lang, staubte dort im Regal zwischen einem Wirrwarr von Radioersatzteilen und alten Tonbändern vor sich hin. Er zahlte die verlangten fünfunddreißig Dollar und sie verließen das Leihhaus. »Jetzt die Klamotten?«, fragte Jardine.
Wyatt sah auf seine Uhr. »Es ist zehn vor sechs, wir haben also noch zehn Minuten Zeit.«
Das Sgro Clothing Emporium verkaufte Billigkleidung aus Acryl und Baumwolle — Jeans, Kleider, Röcke, T-Shirts, Trainingsanzüge, aber auch Bettwäsche und Kopfkissen. Als sie die Tür öffneten, wehte der Wind herein und brachte die Plastikohrringe und Haarreifen neben der Kasse zum Klimpern. An den Decken und Wänden verliefen Rohre und Leitungen und der Linoleumbelag auf dem Boden war abgetreten und warf Wellen. Ein kleiner älterer Mann, ein Maßband um den Hals, lächelte sie aus dem Halbdunkel an. »Ja, ja«, sagte er und wedelte mit den Händen in der Luft, »Sie sich umschauen, Sie finden schöne Kleidung, dann mir sagen.«
Die beiden entschieden sich für schwarze Jeans, T-Shirts und Windjacken. Beim Bezahlen ließ der Inhaber keine Silbe über ihre Auswahl fallen, vielmehr behandelte er sie, als seien sie die ersten Kunden, die er jemals gehabt hatte. Sorgfältig wickelte er die Sachen in braunes Packpapier, schlug die Ecken und Kanten ein, maß Schnur ab und versah schließlich jedes Paket mit einer Schlaufe zum Tragen. Wyatt sah ihm zu und wieder überkam ihn dieses melancholische Gefühl, zu den grundsätzlichen Dingen des Lebens keine Beziehung zu haben. Er war sich nicht mal sicher, wie er dem Inhaber gegenüber Freude oder Erstaunen über dessen Freundlichkeit zum Ausdruck bringen, geschweige denn wie er sich bedanken sollte. Das überließ er Jardine.
Es war erst kurz nach sechs und doch wurde es bereits dunkel. Sie kauften sich Hamburger, aßen sie im Wagen und danach übernahm Wyatt das Steuer und manövrierte sie durch den dichten Verkehr auf der Hoddle Street Richtung Freeway. Gegen sieben hatten sie das Mesic-Grundstück erreicht und parkten an der Rückfront.
Sie schwiegen. Es gab auch nichts zu besprechen. Jardine hatte für jeden ein Infrarot-Nachtfernglas aus Sydney mitgebracht und nun lehnten sich beide Männer in ihren Sitzen zurück, beobachteten das Gelände und die zwei Häuser.
»Wenn wir den Zaun durchschneiden, riskieren wir, von den Nachbarn gesehen zu werden, außerdem wird die Alarmanlage losgehen und die Mesics werden uns mit Waffen im Anschlag empfangen«, fing Wyatt an, laut zu denken.
»Was, wenn wir den Zaun sprengen und einfach mit dem Wagen durchfahren? Eine Blitzaktion, sozusagen — «
»Die nicht nur die Mesics aufschreckt, sondern auch die Cops.«
Wieder verfielen beide in Schweigen und dachten angestrengt nach. Wyatt musste gegen die Müdigkeit ankämpfen, ein Phänomen, das ihm bis dato völlig unbekannt gewesen war und das ihm das sinnlose Hin und Her im Leben vor Augen führte, die losen Enden und die vergeblichen Bemühungen. Das Warten, die Suche nach Lösungen stellten diesmal keine Herausforderung dar. Solange die Sache nicht erledigt und er im Besitz seines Geldes war, würde es ihm nicht gelingen, abzuschalten, neben sich zu treten. Sein Blick schweifte über den Zaun und das Gelände mit den hässlichen Zwillingshäusern und ihm wurde bewusst, dass er die letzten Monate auf der Stelle getreten war, während das Geld nur einen Sprung von ihm entfernt gelegen hatte. Selbst die Stadt schien seiner Anwesenheit überdrüssig. Es kam ihm so vor, als hätte er niemals einen Job präzise und schnell durchgezogen, ja, als sei er nicht mal mehr dazu
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