Willkür
Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Konkurrenten eine Übernahme planen, dass sie vor allem an unseren Unterlagen interessiert sind. Sind Sie sicher, dass die beiden wirklich nur Geld wollen?«
»Ich hab Ihnen alles erzählt, was ich weiß. Diese Jungs gehören keiner Organisation an, sie arbeiten allein und haben auch nicht vor, Geschäftsleute zu werden. Was ist jetzt mit den restlichen siebeneinhalb Riesen?«
Er sah, wie Stella sich plötzlich nach vorn beugte und einen Schalter am Armaturenbrett betätigte. Was dann geschah, sagte ihm, dass er sich von den siebeneinhalb Riesen verabschieden konnte. Die hintere Tür eines Transporters, der in der Nähe parkte, öffnete sich und der Ehemann der Mesic sprang heraus, eine Videokamera in der Hand und um den Hals eine Nikon mit einem beeindruckenden Teleobjektiv. Der Mann war nicht nur außerordentlich kräftig, er machte auch einen fitten und selbstbewussten Eindruck.
»Napper, schauen Sie mal her«, sagte Stella.
Napper schaute hin. Sie zeigte ihm einen Mikrorecorder. »Hier, Ihre Stimme, Sergeant. Sicher, Sie können uns das Leben schwer machen. Aber bedenken Sie den Kummer, den wir Ihnen bereiten könnten. Derryn Hinch von Truth, zum Beispiel, ganz zu schweigen von den Cops, deren Job es ist, gegen die eigenen Kollegen zu ermitteln. Ich weiß genau, wen es härter treffen wird. Sie haben uns einfach nichts anzubieten, das ist der Punkt. Sie sind schlicht ein paar Nummern zu klein.«
»Verfluchte Schlampe«, murmelte Napper.
Stella Mesic ließ den Motor an. »Nun, ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Übrigens, die zweieinhalbtausend können Sie behalten. Ein Gebot der Fairness.«
Ein Gebot der Fairness. Napper hievte sich aus dem Jaguar. Er ging hinüber zu seinem Kombi, stieg ein und startete. Ein Gebot der Fairness. Er fädelte sich ein in den dichten Feierabendverkehr auf der Heidelberg Road, während der Satz ihm nicht mehr aus dem Sinn ging. Ein Gebot der Fairness. Er fühlte sich wie benebelt. Alle Welt hatte sich gegen ihn verschworen und darauf war er nicht vorbereitet gewesen.
Auf der Hoddle Street kam der Verkehr fast zum Erliegen. Napper orgelte auf dem Kupplungspedal herum und sah, dass er kaum mehr Benzin im Tank hatte. Das Problem, die Benzinleitung war leck und er befand sich auf der Innenspur. Draußen flimmerte die abgasgesättigte Luft vor Hitze und durch die Löcher am Boden drangen die Auspuffgase in den Innenraum. Aus irgendwelchen Gründen ging auf seiner Spur jetzt gar nichts mehr. Auf den anderen floss der Verkehr. Ein Japsen-Modell, glänzender Lack, Unmengen von Chrom und voll aufgedrehte Stereoanlage, schob sich an ihm vorbei. Napper hätte am liebsten einem Impuls nachgegeben und das Lenkrad kurz und schmerzlos herumgerissen, um den kleinen Pisser in eine Kollision mit einem Bus zu verwickeln.
Zu allem Überfluss schienen sich die anderen Autofahrer für ihn zu interessieren. Dem Japsen folgten ein Silver Top Taxi, ein Möbelwagen, zwei oder drei typische Familienkutschen, dann ein nagelneuer Volvo und jedes Mal starrte mindestens ein Gesicht in seinen Kombi, jedes Mal mit einem Anflug von Hohn um die Mundwinkel. Er kurbelte das Fenster herunter, lehnte sich etwas hinaus und zeigte einer älteren Frau, die auf dem Rücksitz eines Taxis saß, seine geballte Faust. »Was glotzt du so, alte Schlampe?«
Erschrocken wich die Frau vom Fenster zurück und blickte nur noch starr geradeaus. Kaum war das Taxi vorbeigefahren, schloss ein Renault auf, drinnen eine Wagenladung Weiber, vermutlich Lesben, so wie die aussahen: Stoppelbirnen, Muscleshirts und Achselbehaarung. Der ganze Haufen krümmte sich vor Lachen und jede zeigte mit dem Finger auf ihn. Er wartete, bis der Renault überholen würde, doch seltsamerweise blieb er auf gleicher Höhe. Napper renkte sich fast den Hals aus, um zu ergründen, was da vorn los war: Ein Rettungswagen schob sich rückwärts in die Blechlawine und jetzt war alles zum Stillstand gekommen. Er öffnete die Tür, beugte sich hinaus und brüllte: »Habt ihr Scheiß-Emanzen irgend’n Problem?«
Sofort kurbelten die Frauen die Scheiben hoch, verriegelten die Türen, und obwohl sie sich aneinander drängten, fühlte sich Napper noch nicht als Sieger. Also stieß er die Tür auf, stieg aus und bearbeitete den Renault mit den Füßen. Er wollte diesen Frauen einfach alles, was sich in seinem Hirn angehäuft hatte, entgegenschleudern. Doch die Worte verweigerten sich ihm, er spürte nur noch Hass und Wut in
Weitere Kostenlose Bücher