Willküra (German Edition)
Herrschertreffen, Bruder.«
Er hielt kurz inne und sprach plötzlich unbeteiligt und wie gelähmt weiter.
»Sie wird mich eliminieren, Bruder. Sie wird mich eliminieren, sie hat mich nie geliebt, sie wird mich eliminieren, bitte hilf mir, Bruder!«
49
»Es ist nicht lösbar, das Problem ist nicht lösbar!«
Die Kursleiterin rührte ihren Tee um, biss auf ein Stückchen gehärteten Honig, stellte ihren Tee auf das Tischchen neben dem Sessel, stand auf und holte ihre Lupe.
»Aber wir müssen eine Lösung finden, ich kann nicht zum Willkürherrscher gehen, ihn dann aber nicht anreden können, weil ich immer noch nicht weiß, wie ich ‚Herr‘ durch ‚Willkürherrscher‘ ersetzen kann, ohne in die dir soeben erklärte Willkür-Endlosschleife zu geraten.«
Gerolat hielt seine Teetasse in der Hand und ging im Wohnzimmer hin und her. Er hielt kurz am Tischchen neben dem Sessel an, nahm sich auch ein Stückchen gehärteten Honig, und ging nun kauend durch das Wohnzimmer.
»Und wenn ich ihn einfach nur Willkürherrscher nenne, und das Problem ignoriere, stehe ich nicht gut da. Denn der Willkürherrscher ist sehr spitzfindig, was Sprache und Sprachgebrauch angeht. Eine sehr gute Eigenschaft an ihm, wie ich übrigens finde. Aber deshalb wird er mich direkt unterbrechen, wenn ich ihn einfach Willkürherrscher nenne. Er weiß sicher noch genau, dass er mir ein sprachliches Problem erschaffen hat, das ich zu lösen habe. Er wird mich auf meinen Fehler hinweisen, und ich werde deklassiert vor ihm dastehen. Ich will aber auf Augenhöhe mit ihm reden, nicht wie ein Schulkind. Er soll mich ernst nehmen müssen. Wir brauchen jetzt also schnell eine Lösung!«
Gerolat schaute die Kursleiterin an.
»Was machst du denn da mit der Lupe?«, fragte er überrascht und verwirrt.
Dass sie ein bisschen eigen war, wusste er, das machte sie ja auch so attraktiv für ihn. Sie hatte sich zum Beispiel damals im Kurs immer Ohrenschützer aufgesetzt, wenn ihr jemand eine blöde Antwort auf ihre Frage gegeben hatte. Mitten in Satz nahm sie die Ohrenschützer und setzte sie auf. Auch hatte er mitbekommen, dass sie heimlich in den Pausen die Kugelschreiber der Kursteilnehmer ausgetauscht hatte, oder manchmal auch nur die schwarzen Kugelschreiberminen gegen die blauen.
Und heute, auch das hatte er abseitig gefunden, hatte sie im Moment des größten Stresses auf Tee bestanden.
»Jetzt trinken wir erst mal in Ruhe unseren Tee und überdenken alles noch mal«, hatte sie gesagt, als er doch am liebsten sofort hatte zum Willkürherrscher rennen wollen.
Ob er ihn, wie dieser Arzt auf seinem Zettel behauptet hatte, eliminieren würde oder nicht, war ihm in dem Moment völlig egal gewesen. Aber er hatte sich dann auf den Vorschlag der Kursleiterin eingelassen, erst mal den Tee zu trinken. Was zugegebenermaßen ja gar nicht so schlecht gewesen war, denn so war ihm eingefallen, dass es besser wäre, das Ansprechproblem im Vorfeld noch zu lösen, damit es ihm bei der Unterredung mit dem Willkürherrscher nicht im Wege stehen würde.
Aber jetzt hantierte sie da plötzlich mit einer Lupe. Wollte sie wohl die Sonnenstrahlen nutzen und irgendein kleines Insekt damit versengen? Das konnte doch jetzt nicht ihr Ernst sein?!
»Im Detail erkennt man manches Mal das Große besser«, sagte die Kursleiterin, während sie etwas auf einen Zettel schrieb. »Das hat mir meine Mutter beigebracht.«
Gerolat setzte sich auf die Armlehne des Sessels.
WILLKÜRHERRSCHER hatte sie auf den Zettel geschrieben und jetzt fuhr sie mit dem Auge ganz nah an der Lupe, und mit der Lupe ganz nah am Blatt konzentriert immer und immer wieder über das Wort.
Dann richtete sie sich plötzlich gerade auf und schaute Gerolat erfreut an.
»Ich habe die Lösung!«
Sie strahlte, nahm den Stift und strich das H durch.
»Du wirst ihn einfach ab jetzt immer Willkürerrscher nennen!«
Gerolat stellte seine Teetasse ab und küsste die Kursleiterin überschwänglich.
»Du bist genial! Ich liebe dich.«
Er umarmte sie noch fest, und stand dann eilig auf.
»Jetzt kann ich los, Geliebte! Ich ziehe in den Kampf für unsere Zukunft!«
50
Leise und unauffällig schlichen die zwei Beauftragten aus dem Stab Sonderaufträge des Willkürherrschers die neue Treppe zur Willkürherrschaftlichen Wohnung hoch.
»Geil, so ne große Treppe«, flüsterte der, der die Weinflasche und die Karte trug.
»Ja, aber wo ist die Tür, vor die wir das stellen sollen?«, fragte flüsternd der, der die
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