Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)
müsse man eine der wichtigsten Aufgaben darin erkennen, «der faschistischen Hetze gegen die SU, die auch in den Reihen der klassenbewussten Arbeiter teilweise Anklang gefunden hat, durch die Vermittlung von Tatsachenmaterial entgegenzuwirken». Dass solche Postulate mit der wahren Lage schwerlich in Einklang zu bringen sind, wird er bald erfahren. Im Februar 1937 schickt ihn Jacob Walcher nach Spanien.
Seit Sommer 1936 tobt auf der Iberischen Halbinsel ein Gemetzel besonderer Art. Der republikanischen Regierung, die in Madrid Anfang des Jahres aus der Taufe gehoben worden ist, hat eine «Nationale Front» unter dem Oberkommando des Generalstabschefs Francisco Franco den Kampf angesagt – ein Putsch, der seine Bedeutung vor allem daraus bezieht, dass ihn weite Teile Europas als Stellvertreterkrieg begreifen. Was sich in Spanien abspielt, spiegelt im Kleinen die ideologischen Konfliktlinien auf dem Kontinent wider und wird von Brandt als «die erste offene Schlacht gegen den internationalen Faschismus, ein Vorgefecht der unweigerlich herannahenden Weltauseinandersetzung zwischen Fortschritt und Reaktion» empfunden.
Überrascht ist er nicht, immerhin hat er es ja schon seit langem so vorausgesagt. Die Zwangsläufigkeit eines finalen Zusammenpralls von rechts und links entspricht exakt seiner nach wie vor deterministisch geprägten Logik – und dass Hitler und Mussolini, die dem Caudillo mit Menschen und Material beispringen, nun eine aus zahllosen Ländern herbeiströmende proletarische Phalanx entgegentritt, begeistert ihn. «Als Sozialist», gibt er unumwunden zu, «fühlte ich mein Herz höher schlagen.»
Zunächst ist es also eine faszinierende Reise, die den «Außenminister Walchers», wie ihn innerparteiliche Konkurrenten inzwischen leicht neidisch bespötteln, in das katalanische Barcelona führt. Als Korrespondent für mehrere skandinavische Blätter wohnt er dort wochenlang im selben Hotel, von dem aus der berühmte britische Schriftsteller George Orwell seine Texte verfasst – aber den Job des Kriegsberichterstatters versieht er bloß nebenbei.
Noch Mitte der fünfziger Jahre, als er in Westberlin zum Stadtoberhaupt aufsteigt, und mehrmals in der heillos vergifteten Atmosphäre der Bundestagswahlkampagnen von 1961 und 1965 wird sich Willy Brandt für diese angeblich zwielichtige Rolle zu rechtfertigen haben. Er sei im blutigsten Konflikt zwischen den beiden Weltkriegen als Angehöriger der Internationalen Brigaden «Rotfrontkämpfer» gewesen, raunen da bürgerlich-konservative Hardliner – eine Behauptung, die er zurückweist, ohne seine prinzipielle Einstellung zu leugnen: «Ich würde mich nicht schämen», lässt er im Nachhinein nur wissen, «wenn ich, wie es einige meiner Freunde taten, mit der Waffe in der Hand verteidigt hätte, was sich mir als die Sache der legalen spanischen Republik und der europäischen Demokratie darstellte.»
Für seine aktive Beteiligung an den Kampfhandlungen gibt es keine Belege, doch dass der Einsatz über die Mission eines politisch interessierten Journalisten deutlich hinausging, will er nicht verbergen. Zu den Aufgaben, die ihm die Pariser Auslandsleitung zugedacht hat, zählt vor allem die Beratung der «Partido Obrero de Unificacion Marxista» (POUM), einer Fusion der «Kommunistischen Linken» und des «Arbeiter- und Bauernblocks», die im «Internationalen Büro für revolutionäre Sozialistische Einheit» als Bruderpartei der SAP gilt.
Walcher erwartet dabei von Brandt, die Freunde auf Linie zu bringen – eine Aufgabe, der er sich voller Überzeugung widmet. Seine eigenen Erfahrungen aus dem Deutschland der Weimarer Zeit hängen ihm immer noch wie ein Trauma an, und so hält er es nachgerade für seine Pflicht, die sichtlich konfusen spanischen Gesinnungsgenossen vor Fehlern zu bewahren, ihre häufig aus dem Ruder laufende Spontaneität in die richtigen Bahnen zu lenken und im Zusammenspiel mit den Kräften der Republikaner die vielerorts zu beklagenden Reibungsverluste zu reduzieren.
Denn was sich dem ersten Anschein nach als erhebender und von den vereinigten Linken heroisch geführter «nationaler Befreiungskrieg» geriert, ist auf den zweiten Blick kaum ermutigend. Während Franco und seine Kombattanten in militärisch geordneter Formation von Erfolg zu Erfolg eilen, herrscht bei den unkonventionell kämpfenden Milizen der Antifaschisten meist das blanke Chaos.
Erschwerend hinzu kommt, dass die tendenziell anarchistische POUM für einen Triumph
Weitere Kostenlose Bücher