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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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sich in der norwegischen Gesandtschaft in Stockholm um seine Einbürgerung bemühen, die ihm die inzwischen nach London geflohene Osloer Regierung im August dann auch schriftlich bestätigt.
    So erhält er von den Behörden eine vorerst für sechs Monate gültige Aufenthaltsgenehmigung. Er ist jetzt Norweger im schwedischen Asyl mit deutschem Migrationshintergrund und tritt in den zweiten Abschnitt seiner politischen Lehr- und Wanderjahre ein, der die Metamorphose vom fundamentalistischen Linkssozialisten zum gemäßigten Sozialdemokraten enorm beschleunigt. Stärker noch als zuvor der Wandlungsprozess der NAP prägt ihn fortan das sogenannte Schwedische Modell, jenes auf Kompromiss und sozialen Ausgleich angelegte Programm einer Koalition der nationalen Einheit, die nur von den Kommunisten abgelehnt wird.
    In Stockholm setzt Brandt seine Arbeit beinahe nahtlos fort. Als hilfreich erweist sich dabei, dass er von namhaften Osloer Kombattanten unterstützt wird, die nun das Schicksal des Exils mit ihm teilen – allen voran der große alte Mann der NAP, Martin Tranmäl, und Halvard Lange, nach dem Krieg norwegischer Außenminister. Es wird ihm leichtgemacht, ein Pressebüro zu eröffnen, das sowohl inländische Tageszeitungen als auch mehrere Gewerkschaftsblätter im Ausland und die in der Hauptstadt akkreditierten Botschafter und Gesandten mit gut recherchiertem Material aus den besetzten Regionen Skandinaviens bedient.
    Dass er seinen ohnehin schon umfänglichen Freundeskreis bald um so bedeutende Persönlichkeiten wie den späteren UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld oder den Wirtschaftswissenschaftler Gunnar Myrdal erweitert, hat aber auch nicht zuletzt mit seiner Art zu tun. Bei aller Unnachgiebigkeit, mit der er insbesondere seine antifaschistische Position vertritt, gilt der umtriebige Korrespondent als erfrischend umgänglich und anpassungsbereit. Von seinem ganzen Wesen her habe er bestens «in die Landschaft» gepasst, urteilt der spätere österreichische Kanzler Bruno Kreisky, der die NS-Zeit ebenfalls in Stockholm überdauert, und kürt ihn in seinen Memoiren emphatisch zum «hervorragendsten Exponenten der deutschsprachigen politischen Emigration» in Schweden. Aus dem «konspirativen Amateur», wie Brandt sich im Nachhinein selber nennt, ist längst ein veritabler Profi der Untergrundarbeit geworden. Seit seinen abenteuerlichen Reisen nach Berlin und Barcelona machen ihm waghalsige Grenzübertritte kaum noch etwas aus, weshalb er bereits zu Weihnachten 1940 wieder in Oslo auftaucht. Inkognito besucht er dort seine Verlobte und hält zum ersten Mal die im Oktober geborene Tochter Ninja in den Armen – um danach seinen «Job» zu erledigen. Bei Treffen mit norwegischen Kontaktpersonen, etwa dem untergetauchten Oberbürgermeister und nachmaligen Regierungschef Einar Gerhardsen, verbessert er kontinuierlich seinen Informationsstand über die aktuelle Lage.
    Mit dem spektakulären Auftritt in «Metro» ist die Mission allerdings kaum vergleichbar. Wie der Neubürger erfreut registriert, hat sich die Zahl seiner Landsleute, die an Hitler nur wenig Anstoß nahmen, seit Beginn der Besetzung beträchtlich verringert. Stattdessen wächst mit der «Heimatfront» ein klug kalkulierter, meistens ziviler Widerstand. So kann er sich weitgehend frei von Angst bewegen. Dennoch bleibt die Tour nicht ohne Folgen. Als der Publizist Herbert Frahm im Frühjahr 1941 in Stockholm um eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nachsucht, gerät er – offenkundig aufgrund eines Winks aus Reinhard Heydrichs Reichssicherheitshauptamt (RSHA) – unvermittelt in die Fänge der Säpo. In stundenlangen scharfen Verhören, an deren Ende er verhaftet wird, bezichtigt man den eisern schweigenden mutmaßlichen Delinquenten der Spionage und droht ihm unverhohlen mit der Abschiebung ins Deutsche Reich.
    Warum man ihm damals so zusetzt, erfährt er erst Anfang der sechziger Jahre. Der Sozialdemokrat Torsten Nilsson, zu dieser Zeit Außenminister, bestätigt ihm in seinen Memoiren, er sei mit seinem Pressebüro nicht nur von «den im Lande tätigen Nazi-Agenten», sondern zugleich von der schwedischen Sicherheitspolizei beschattet worden – eine für Brandt äußerst gefährliche Situation, aus der ihn abermals der väterliche Protektor Martin Tranmäl rettet, indem er seine guten Beziehungen ausspielt. Doch die Säpo lässt ihn immer wieder spüren, wie wenig willkommen sein politisches Engagement ist. «Verhalten sich der Herr

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