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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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spalten.
    Darüber hinaus lastet der mittlerweile knapp dreiunddreißigjährige Querdenker der Sozialdemokratie an, sie rekrutiere ihre Leitungsebene samt und sonders aus Kadern, die bereits während der Weimarer Republik zum großen Teil versagt hätten und häufig genug jeden Esprit vermissen ließen. Statt «nach Bäuchen und Bärten» zu fragen, erregt er sich gegenüber Freunden, sei es zwingend geboten, «den Köpfen» Verantwortung zu übertragen.
    In einer solchen Situation ganz auf die SPD zu setzen und noch vor der Gründung einer neuen deutschen Republik die norwegische Staatsbürgerschaft aufzugeben, ist ihm zu riskant. Also bemüht er sich in der Folgezeit darum, seine Möglichkeiten als Journalist auszuloten. Bei den Sondierungen trifft er so zum ersten Mal auf den Kollegen Herbert Wehner, der sich im schwedischen Exil reumütig von seiner kommunistischen Vergangenheit abgenabelt hat und mit dem Segen Kurt Schumachers jetzt als der prominenteste sozialdemokratische Konvertit beim parteieigenen «Hamburger Echo» die Fäden spinnt. «Ich hatte den Eindruck», schreibt Brandt später, «mir würde hier vielleicht eine sinnvolle Aufgabe angeboten werden», doch nach seinem Vorbehalt, er könne auf ein «Mindestmaß an Selbständigkeit unter keinen Umständen verzichten», trennen sich ihre Wege vorerst wieder.
    Nach einigen weiteren gescheiterten Versuchen, sich in seiner früheren Heimat beruflich zu etablieren, verschafft ihm das SPD-Vorstandsmitglied Fritz Heine die Gelegenheit, den in der britischen Zone gegründeten «Deutschen Pressedienst» – einen Vorläufer der dpa – zu übernehmen, aber dann entscheidet er sich kurzentschlossen doch für eine diplomatische Laufbahn. Inzwischen hat sich in Oslo nämlich der zum Außenminister berufene NAP-Kombattant Halvard Lange seiner Qualitäten erinnert. Der im «Dritten Reich» ins KZ Sachsenhausen verschleppte Widerstandskämpfer trägt ihm an, als Presseattaché die norwegische Botschaft in Paris zu verstärken, und der deutsche Gesinnungsfreund hofft, von da aus in eine der internationalen Organisationen einsteigen zu können, um am Ende vielleicht sogar «beiden Vaterländern» zu dienen.
    Der künftige Chef verbessert seine Offerte noch. In Absprache mit dem neuen Ministerpräsidenten Einar Gerhardsen, der auf den vormals deutschen Emigranten ebenfalls große Stücke hält, wird er unverzüglich nach Berlin beordert. Zu seinem Aufgabengebiet gehört – wie zunächst für die französische Hauptstadt vorgesehen – die Betreuung der Medien, doch in Wahrheit weit mehr: Als Mitglied einer dem Alliierten Kontrollrat angegliederten Militärmission erwarten die Vorgesetzten von ihm, dass er mit seinem im Exil bewiesenen Gespür die politische Szene beobachtet und für die Regierung entsprechende Lageanalysen erarbeitet.
    Unvermittelt wandelt sich der Kriegsverächter, ohne je Soldat gewesen zu sein, zu einem vom norwegischen Verteidigungsministerium beschäftigten «Civilian Officer» und präsentiert sich nun abermals in jener Uniform, die ihn später in Misskredit bringt. Er wehrt sich mit dem Hinweis, dass etwa der Freiherr vom Stein sogar als Bevollmächtigter des russischen Zaren nach Deutschland zurückgekehrt sei, um dann den eigenen hohen Rang mit einem gesunden Erwerbssinn zu erklären: Auf dem Major habe er nur der Besoldung wegen bestanden.
    Kleinere Probleme gibt es, als er Anfang Januar 1947 in der zerbombten Viersektorenstadt aufkreuzt, allein mit dem Namen. In seinen Dokumenten als Diplomat wie den journalistischen Ausweispapieren steht der nom de guerre «Willy Brandt», während der Reisepass auf «Herbert Frahm» lautet – eine administrativ beglaubigte Hilfskonstruktion, die auf andere mitunter verwirrend wirkt, ihn selbst aber kaum stört. Was dem auf internationalem Parkett vorgebildeten Verbindungsmann im Schmelztiegel Berlin an Durchsetzungskraft und Wendigkeit abverlangt wird, hat er zur Genüge bereits in Stockholm erlernt.
    Um bei seinen deutschen Genossen gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, mit dem schillernden Job habe er sich bereits zugunsten seiner norwegischen Identität entschieden, adressiert er an Freunde, die ihm besonders am Herzen liegen, vorsorglich einen beschwichtigenden Rundbrief. Er räumt darin ein, dass es einige vielleicht verwundern werde, wenn er sich nun «genötigt» sehe, als Alliierter – und da «teilweise in Uniform» – aufzutreten, doch er stehe dazu. Als bekennender «europäischer

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