Wilsberg 03 - Gottesgemuese
mir anschließen.
Ich blieb stehen. »Sie dürfen leider nicht dabei sein. Das ist Vorschrift.«
Noch ein missbilligender Blick. »Ich warte hier.«
Nicole Kemper lag allein im Zimmer. Ein Tropf hing über ihrem Arm, aber ansonsten gab es keine Schläuche oder Apparaturen. Langsam drehte sie den Kopf und guckte mich an. Ihr Gesicht unterschied sich in der Farbe nicht von der Bettwäsche.
»Hallo!«, sagte ich. »Erkennen Sie mich?«
Sie sagte weder Ja noch Nein.
Ich ließ mich auf dem Stuhl neben ihrem Bett nieder. »Wir haben gestern miteinander gesprochen, im Zentrum. Es ging um Martin Kunstmann.«
Sie stöhnte. »Die haben mir Vorwürfe gemacht. Ich würde spionieren. Ich wäre eine Feindin.«
»Hat man Ihnen verboten, mit mir zu sprechen?«
Sie nickte.
»Glauben Sie mir, Ihre Moral ist okay! Was Sie kaputtmacht, ist die Kirche für angewandte Philosophie.«
»Nein, nein«, stammelte sie.
»Doch! Ihr Körper weiß das besser als Sie. Die Kirche mit ihren brutalen Methoden ist verantwortlich für Ihren Gesundheitszustand. Die haben Sie doch bewusst fertiggemacht.«
Sie starrte an die Decke.
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Ich bin Privatdetektiv. Frau Kunstmann hat mich beauftragt, ihren Mann zu suchen. Er hat sich schon seit vier Wochen nicht mehr bei ihr gemeldet. Vielleicht geht es ihm genauso schlecht wie Ihnen.«
Sie bewegte leicht die Lippen.
»Sagen Sie mir, wo er ist! Ich werde nicht verraten, von wem ich es erfahren haben.«
»Er ist auf Norderney, in der ehemaligen Hautklinik, ganz am Ende der Stadt.«
Die Tür ging auf, und die Ärztin schaute herein.
»Würden Sie jetzt bitte gehen!«
Ich drückte Nicole Kemper die Hand. »Vielen Dank!«
An der Tür wandte ich mich noch einmal um. Sie hatte sich im Bett aufgerichtet.
»Seien Sie vorsichtig! Das Haus wird vom Orden des Tempels bewacht.«
»Dürfte ich Ihren Ausweis sehen?« Die Ärztin baute sich vor mir auf.
Ich zückte meinen Detektivausweis.
»Sie sind überhaupt nicht von der Polizei!«
»Das habe ich nie behauptet.« Ich nahm ihr den Ausweis wieder ab.
»Das kommt Sie teuer zu stehen.«
»Drohen Sie mir ruhig! Aber bedenken Sie, dass das für alle Beteiligten eine Menge Papierkram bedeutet. Und am Ende kommt doch nichts dabei heraus.«
So schnell ich konnte, machte ich mich aus dem Staub, in der Hoffnung, dass mich in der Nähe des Franziskus-Krankenhauses nie ein Unfall ereilen mochte.
Dank des verkaufsoffenen Samstages hatte ich alles Nötige erstanden: Hühnerbrust, verschiedenes Gemüse, Chicorée für den Salat, Mango Chutney, eine Tüte Kroepoek und, in einem chinesischen Laden, Gado-Gado. Als Ergebnis sollte dabei die Miniaturausgabe einer indonesischen Reistafel herauskommen.
Mit Plastiktüten behangen und die Nachbarn ignorierend, drückte ich auf die Klingel des inzwischen vertrauten Hauses in Sprakel. Diesmal tat sich zwanzig Sekunden lang nichts. Die lieben Kinder, die die Mami in Anspruch nahmen.
Dann tauchte ein unbekannter Kopf in der Tür auf. Es war ein Frauenkopf mit schwarzen Haaren, Pagenfrisur und einem Gesichtsausdruck, der wesentlich unfreundlicher wirkte als der von Anja Kunstmann.
»Ist Frau Kunstmann da?«, fragte ich.
»Nein. Was wollen Sie von ihr?«
»Mein Name ist Georg Wilsberg. Ich bin mit ihr verabredet.«
»Der Privatdetektiv«, sagte sie mit verächtlichem Unterton.
»Der Privatdetektiv«, bestätigte ich.
»Ich weiß nicht, wann Anja zurückkommt. Rufen Sie doch morgen noch mal an!« Sie wollte die Tür schließen.
»Moment!«, sagte ich. »Hat ihre Abwesenheit etwas mit ihrem Mann zu tun?«
»Kann schon sein. Aber das geht Sie nichts an.«
»Und ob mich das etwas angeht. Ich fühle mich auch für ihre Sicherheit verantwortlich.«
Wir starrten uns an. Schließlich gab sie nach. »Gut. Kommen Sie herein! Viel schlimmer kann es ohnehin nicht werden.«
Die beiden Kinder standen im Flur und sahen verängstigt aus.
»Wissen Sie, wo Mama ist?«, fragte die Ältere.
»Keine Ahnung«, sagte ich. Die Plastiktüten kamen mir irgendwie unpassend vor.
Fragend schaute ich die Türöffnerin an. Sie gab mir mit den Augen ein Zeichen.
Ich ging bis zur Küche durch und stellte die Tüten ab. Die Frau versuchte, den Kindern ein Spiel aufzuschwatzen, und als es ihr endlich gelungen war, kam sie nach.
»Was ist los?«, flüsterte ich.
»Anja hat heute Nachmittag einen Anruf von ihrem Mann bekommen. Sie war ganz aufgeregt. Er will sie treffen.«
»Wo?«
»Das durfte sie nicht sagen.
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