Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
nicht an einer der Hauptgeschäftsstraßen, sondern in einem kleinen Nebengässchen in der Nähe des Erbdrostenhofes. Hierher verirrten sich nur die Leute mit den goldenen Kreditkarten, die unbedingt viel Geld ausgeben wollten. Zur Straßenseite hin gab es ein großes Glasfenster, hinter dem einige afrikanisch anmutende Skulpturen standen. Wohl für diejenigen unter den Kunden, die angesichts der großformatigen, grellen abstrakten Gemälde, die in den hinteren Regionen der Galerie an den Wänden hingen, der Mut verließ. So konnten sie etwas Solides für unter zehntausend Mark mit nach Hause nehmen und sich trotzdem für modern und elitär halten.
Ich betrat den Laden und erregte die Aufmerksamkeit einer Frau, die für die Moderation eines öffentlich-rechtlichen Kulturmagazins wie geschaffen schien. Sie trug ein schwarzes Kleid, schwarze Haare und eine schwarze, an den Ecken spitz zulaufende Hornbrille mit bunten Punkten. Die Frau stand von ihrem leeren Schreibtisch auf und schätzte mit einem erfahrenen Blick die für mich infrage kommende Preisklasse ein. Offenbar war ich ein Fall für die Postkartenecke, die es gar nicht gab.
Sie machte sich keine große Mühe, ihre Geringschätzung zu kaschieren. »Sie wünschen?«
»Ich möchte Holger Biereichel sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»In einer privaten.«
Ihre Mundwinkel zuckten spöttisch. Die amourösen Abenteuer ihres Chefs waren ihr wohl nicht entgangen. Vermutlich hatten schon einige aufgebrachte Ehemänner im Laden gestanden. »Herr Biereichel ist beschäftigt.«
»Das macht nichts.«
»Geben Sie mir Ihre Karte! Er wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.«
»Nein. Sagen Sie ihm, dass es um Jessica Wiedemann geht.«
Sie zögerte einen Moment und verschwand dann hinter einer Seitentür. Ich gab ihr dreißig Sekunden, um die schlechte Nachricht zu überbringen. Länger wollte ich nicht warten, damit Biereichel nicht auf die Idee kommen konnte, sich aus dem Staub zu machen.
Die Kunsthändlerin und ihr Chef schauten mich entgeistert an. Biereichel saß an einem Schreibtisch, der, im Gegensatz zu seinem Pendant im Verkaufsraum, tatsächlich wie ein Schreibtisch aussah, mit Bergen von Papieren, einem Computer, einer Kaffeetasse und Kaffeeflecken. Biereichels schwarzer Anzug wurde von einem weißen Hemd kontrastiert, seine grau melierten Haare waren am Hinterkopf zu einem mickrigen Zopf gebündelt.
»Was erlauben Sie sich?« Die Panik war nicht zu überhören.
Ich setzte mich ihm gegenüber. »Keine Angst. Ich bin ein friedlicher Mensch.«
»Sie dringen in mein Büro ein und ...«
»Sparen Sie sich die Rede!«, unterbrach ich ihn. »Ich stelle Ihnen ein paar Fragen über Jessica Wiedemann. Falls ich die richtigen Antworten bekomme, werde ich wieder gehen.«
»Ich kenne keine Jessica Wiedemann.«
Ich lachte. »Das war die erste falsche Antwort.«
»Soll ich die Polizei rufen?«, fragte die Frau.
Ich lehnte mich zurück und grinste. »Ich glaube nicht, dass das im Sinne Ihres Chefs wäre. Die Polizei weiß nämlich noch nicht, dass er was mit Jessica hatte.«
»Ich komme schon zurecht, Frau Simon«, sagte Biereichel weinerlich.
Sie schaute abwartend von ihm zu mir, bis er quengelnd hinzufügte: »Gehen Sie endlich!«
Frau Simon zog beleidigt ab. Auf ihrem schwarzen Kleid glänzte keine einzige Schuppe. Ich beneidete Menschen, die damit keine Probleme hatten. Bei meiner trockenen Haut konnte ich es mir nicht leisten, Schwarz zu tragen.
»Wer sind Sie?«, fragte Biereichel. »Sie sind doch nicht der Ehemann, oder?«
»Mein Name ist Wilsberg. Ich bin Privatdetektiv.«
»Und? Was wollen Sie?«
»Das habe ich doch schon gesagt.«
»Wenn Sie glauben, Sie können mich erpressen, dann irren Sie sich. Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Frau.«
»Sie erzählen ihr alles?«
Biereichel zupfte an seiner Jacke. Das Hemd spannte über dem Bauch. Der Galerist neigte zu dem für Männer über vierzig typischen Hängebauch. »Ich bin doch nicht pervers.« Er lächelte probeweise. »Aber bevor ich mich in Schwierigkeiten bringe, bin ich bereit, den Gang nach Canossa anzutreten. Mit anderen Worten, Herr Wilsberg: Bei mir ist nichts zu holen.«
»Warum denken Sie, dass ich Sie erpressen will?«
»Warum sollten Sie sonst zu mir kommen? Ich nehme an, der Ehemann hat Sie engagiert. Sie haben mich zusammen mit Jessica gesehen. Und nun versuchen Sie, Ihr Honorar bei mir aufzubessern.«
»Interessant«, bemerkte ich.
»Jessica ist nicht mein erstes
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