Wilsberg 13 - Wilsberg isst vietnamesisch
brauche dringend Medikamente und schaffe es einfach nicht selbst. Ich rufe in der Praxis an und sage Bescheid.«
»Aber das mache ich doch gerne.« Kentrups Stimme klang etwas ungeduldig. »Das hätten Sie mir ruhig am Telefon sagen können.«
»Da ist noch etwas anderes, das ich mit Ihnen persönlich besprechen will«, sagte Reimers. »Letzte Nacht, als ich nicht schlafen konnte ...«
»Warum nehmen Sie denn keine Schlaftablette?«, tadelte Kentrup.
»Ach, manchmal denke ich ganz gerne nach. Und ich bin zu einem Entschluss gekommen.«
»So?« Kentrup wurde merklich interessierter.
»Wissen Sie, ich habe nicht mehr viele Jahre, vielleicht nicht mal eins.«
»Sagen Sie doch nicht so etwas!«
»Ich habe einiges gespart und möchte es für einen guten Zweck spenden. Wer weiß, vielleicht zahlt sich das ja aus, wenn ich da oben bin. Und weil Sie so einen guten Draht zu Pfarrer Brockhage haben, dachte ich, Sie könnten mal mit ihm darüber reden. Das Geld soll ja nicht in falsche Hände kommen.«
»Um wie viel geht es denn?«, fragte Kentrup.
»Ein paar tausend Mark sind schon zusammengekommen. Und die müssen weg, bevor der Euro eingeführt wird.«
»Sie haben das Geld doch nicht etwa im Haus?«
»Ich weiß, das ist unvernünftig. Aber diese komplizierten Formulare bei der Bank ...«
»Ich werde Pfarrer Brockhage um Rat bitten«, versprach Kentrup. »So eine Entscheidung will gut überlegt sein. Auf jeden Fall sollten Sie nichts Voreiliges tun und dem Nächstbesten das Geld in die Hand drücken. Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es bestimmt nicht an.«
»Sie sind ein Engel«, sagte Reimers mit einer Ironie, die für uns Zuhörer gedacht war.
Franka und Krolow hatten sich darauf geeinigt, abwechselnd Wache zu schieben, und Franka hatte die erste Schicht übernommen. Zum Abschied hatte der Oberstleutnant eine Mauser erwähnt, die bei ihm zu Hause liege und vielleicht gute Dienste leisten könne. Ich hoffte für ihn und für uns, dass er nicht zu früh das Feuer eröffnen würde.
Auf dem Rückweg kam ich an Kim Oanhs Imbiss vorbei. An der Tür hing ein weißes Schild. Anscheinend hatte sich Stürzenbecher von meinen Argumenten nicht beeindrucken lassen oder er hatte schlicht und einfach vergessen, seine Anweisung rückgängig zu machen.
Ich vollführte eine waghalsige Kehrtwendung auf der Mondstraße und hielt vor dem Laden. Vorübergehend geschlossen stand auf dem Schild. Ich lugte ins Innere und sah, dass in der Küche Licht brannte.
Nachdem ich ein paarmal geklopft hatte, wurde die Glastür aufgeschlossen.
»Sie?« Kim Oanhs Wangen glühten. »Ich dachte ...«
»Mir geht es gut«, sagte ich. »Man hat mich nur kurzfristig aus dem Verkehr gezogen. Und das lag bestimmt nicht an den gebratenen Nudeln.«
Sie atmete auf. »Da bin ich aber froh.«
Kim Oanh schloss die Tür hinter mir ab. Wir gingen durch die Küche in ein winziges Büro.
»Ich mache die Buchführung«, erklärte sie den Papierberg auf dem kleinen Schreibtisch. »Irgendwie muss ich die Zeit ja nutzen und es ist eine Menge liegen geblieben.«
»Hat die Polizei schon gesagt, wann Sie wieder öffnen dürfen?«
»Nein, die haben gemeint, das könnten sie frühestens in einer Woche entscheiden. Sie haben die Proben zur Analyse ans Landeskriminalamt geschickt.«
»So ein Blödsinn.« Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte Stürzenbechers Privatnummer.
Es dauerte eine Weile, bis er abnahm. »Wieso störst du mich am Samstag?«
»Und wieso ruiniert ihr das Geschäft von Tran Thi Kim Oanh?«
»Ist das die Chinesin?«
»Sie ist deutsche Staatsbürgerin vietnamesischer Abstammung.«
»Keine Spitzfindigkeiten«, knurrte Stürzenbecher. »Wer soll dir sonst das Betäubungsmittel ins Essen gekippt haben?«
»Nachdem ich die Hälfte der Nudeln gegessen hatte, bin ich ausgestiegen, um etwas zu überprüfen. Anscheinend hat der Täter die Gelegenheit genutzt. Er hat mich übrigens gestern Abend angerufen und mir eine Warnung zukommen lassen.«
»Aha.«
»Es gibt also keinen Grund, Kim Oanh weiter zu behelligen. Sie hat mit dem Anschlag nichts zu tun.«
»Ich werde mich Montag darum kümmern«, sagte Stürzenbecher. »Und wenn du mich dieses Wochenende noch mal anrufst, werde ich dich unter irgendeinem Vorwand verhaften lassen.«
XIV
Der Sonntag kam und ging. In Sankt Mauritz und im Kreuzviertel blieb es ruhig. Keine Anrufe, keine Attentate, auch für Verfolger gab es nichts zu tun, da ich mich nicht aus dem Haus bewegte.
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