Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
Boden.
Noch bevor der Notarzt eintraf, wachte sie auf. Ihre Hand zuckte und fuhr suchend über das Parkett. Ich nahm sie und hielt sie fest. »Alles in Ordnung. Ich bin da.«
Sie schlug die Augen auf und warf mir einen verschwommenen Blick zu. »Ich ...«
»Nicht reden!«, befahl ich. »Bleiben Sie ruhig liegen! Der Arzt ist gleich da.«
»Danke!«
»Keine Ursache. Das ist mein Job.«
Sie drehte sich auf den Rücken. »Mein Kopf tut so weh.«
»Kann ich mir vorstellen.« Ich streichelte ihre Wange. »Wissen Sie, wer es war?«
»Nein, er war ganz schwarz.«
»Ja, das ist mir auch aufgefallen.«
Es schellte. Ich ging zur Tür und ließ eine Notärztin und zwei Krankenwagenfahrer herein.
Die Ärztin maß den Puls und den Blutdruck, leuchtete Marie mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen und tastete sie ab. Dann befahl sie den Fahrern, eine Trage zu holen.
»Wir müssen Sie in die Klinik bringen«, sagte die Ärztin zu Marie, »damit Sie gründlich untersucht werden.«
Marie nickte nur.
Die Ärztin sah mich scharf an. »Sind Sie der Ehemann?«
»Nein, ich bin Privatdetektiv. Frau Kaiser hat mich angerufen und ...«
»Ich muss die Polizei verständigen.«
»Das habe ich schon gemacht.«
»Trotzdem.« Sie zog ein Handy aus der Tasche.
»Es stimmt, was er sagt«, meldete sich Marie mit matter Stimme.
Die Ärztin ließ sich nicht beirren und erfuhr von der Einsatzleitung, dass ein Wagen unterwegs sei. »Wie ist Ihr Name?«, fragte sie mich.
»Wilsberg, Georg Wilsberg.«
»Ein Herr Wilsberg wartet an der angegebenen Adresse auf Ihre Kollegen«, sagte die Ärztin ins Telefon.
Inzwischen hatten die Sanitäter Marie auf die Trage gehoben. Ich begleitete sie bis zur Haustür und drückte ihre Hand. »Ich werde Sie morgen früh aus dem Krankenhaus abholen.«
Marie quälte sich ein Lächeln ab.
Die Polizeisirene war schon zu hören. Ich schloss schnell die Tür, lief durch die Wohnung und dann in den Garten. Die Terrassentür ließ ich geöffnet, damit die Polizisten keine Scheiben einschlagen mussten.
Nach einem Umweg durch zwei weitere Gärten kehrte ich zur Straße zurück. Ein Polizist stand vor der Haustür, sein Kollege war wahrscheinlich zur Rückseite des Hauses gegangen.
Ich wartete, bis die Haustür von innen geöffnet wurde und der wartende Polizist hineinging. Dann setzte ich mich in mein Auto und fuhr weg.
Daniel Kaiser wohnte in einem Altbau in der Innenstadt, im vierten und obersten Stockwerk, direkt unter dem Dach.
Er hatte noch nicht geschlafen. »Sie schon wieder!«, sagte er mit schwerer Zunge. Sein Atem stank nach Alkohol. »Was wollen Sie?«
»Mein Name ist Wilsberg. Ich bin Privatdetektiv und möchte mit Ihnen reden.«
Er ließ mich an der Tür stehen und ging mit staksenden Schritten zu einem erleuchteten Raum. Das Zimmer, in das ich ihm folgte, hatte zwei schräge Wände, ein kleines, geteiltes Fenster und einen knarrenden, altersschiefen Holzboden. Ein Arbeitszimmer, wie an dem Schreibtisch und den Bücherregalen vor den geraden Wänden zu erkennen war. Auch auf dem Boden stapelten sich Bücher und Zeitschriften und die Staubdichte pro Kubikmeter entsprach ungefähr der in meinem Büro.
Daniel saß in dem einzigen Sessel, neben einem kleinen Holztisch, der von einer Stehlampe angestrahlt wurde. Auf dem Tischchen lagen ein aufgeschlagenes Buch und eine Brille, im Schatten darunter versteckte sich eine fast leere Flasche Grappa.
»Entschuldigen Sie die Unordnung!« Daniel machte eine wedelnde Bewegung mit der Hand. »Ich habe nicht mit Besuch gerechnet.«
Ich nahm seine Brille und schaute hindurch. »Wenigstens habe ich Sie nicht geweckt.«
»Ich arbeite gerne nachts.« Er blickte mich mit glasigen, kurzsichtigen Augen an. »Ich liebe die Stille der Nacht, kein Lärm, kein Geschrei. Meistens gehe ich erst am frühen Morgen zu Bett.« Er tastete mit der rechten Hand nach der Brille.
Ich gab sie ihm. Er setzte sie schief auf die Nase. » Nachts schläft die Dummheit. Karl Kraus. Kennen Sie Karl Kraus?«
Da ich keine Lust hatte, länger zu stehen, holte ich den schlichten Drehstuhl hinter dem Schreibtisch hervor und setzte mich Daniel gegenüber. »Ich kenne nur Bernd Kraus, den schlechtesten Trainer, den Borussia Dortmund jemals gehabt hat.«
Er grinste verächtlich. »Was soll man von einem Detektiv auch anderes erwarten? Karl Kraus war einer der größten Satiriker des letzten Jahrhunderts.«
»Ach der?«, spielte ich mit. »Hat der nicht auch gesagt: Wenn die Sonne
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