Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
kulturell weniger hochstehende Programm. Im Fernsehen sinnierten zahlreiche Fußballexperten, die, bevor sie grau und fett geworden waren, besser mit ihren Füßen als mit ihrem Gehirn umgehen konnten, über unsere Chancen, die USA im Viertelfinale zu schlagen.
Noch vor dem Ende der Sendung fielen mir die Augen zu. Mit letzter Kraft schaltete ich den Fernseher aus und schlurfte ins Bett.
VII
Diesmal dauerte die Nacht zwei Stunden. Als das schnurlose Telefon, das ich auf den Nachttisch gelegt hatte, klingelte, schimmerte auf meinem Digitalwecker eine rote Zwei vor dem Doppelpunkt. Nicht die angenehmste Zeit, um aufzuwachen.
»Ja?«, krächzte ich in die Sprechmuschel.
»Er ist wieder da«, sagte Marie Kaiser.
»Wer?«
»Daniel, nehme ich an. Er hat auf der Straße vor dem Haus gestanden.«
»Haben Sie ihn erkannt?«
»Nein, dazu ist es zu dunkel.«
»Könnte es kein Spaziergänger sein?«
»Um diese Zeit gibt es bei uns keine Spaziergänger. Außerdem hat er zu meinem Haus geschaut.«
»Okay«, ich schlug die Bettdecke zurück, »ich bin schon unterwegs.«
Marie hatte aufgeregt, aber nicht ängstlich geklungen. Vielleicht gewöhnte sie sich an die Gefahr.
Ich ging ins Badezimmer und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Eigentlich hätte ich mir auch gerne die Zähne geputzt, um das pelzige Gefühl im Mund loszuwerden, aber als Lebensretter musste ich Prioritäten setzen.
Während ich mich hastig ankleidete, dachte ich kurz daran, dass es noch eine harmlose Alternative gab. Möglicherweise fühlte sich Marie einfach ein bisschen einsam und wollte die Nacht auf dem Schlafsofa wiederholen. Jedenfalls hatte ich in meinem schon reichlich langen Leben als Mann gelernt, dass ich die Frauen nie restlos verstehen würde.
Andererseits war ich Profi genug, um auch die reale Bedrohung in Betracht zu ziehen. Deshalb ignorierte ich auf der Fahrt durch das nächtliche, autoleere Münster jegliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und erreichte schon nach sieben Minuten das Haus der Kaisers.
Ich stieg aus dem Auto und schaute mich um. Ein Mann war nicht zu sehen, nicht einmal eine Katze oder eine Himmelserscheinung. Gievenbeck war so ruhig wie das Stadion von Leverkusen bei jedem letzten Spiel der Bundesligasaison.
Ich ging zur Haustür und schellte. Im Inneren war es still, zu still. Plötzlich war ich hellwach. Das Gefühl, das etwas nicht stimmte, schärfte meine Sinne. Ich schellte erneut, nichts rührte sich.
Mit schnellen Schritten eilte ich um das Haus herum, darauf gefasst, dass mir an jeder Hausecke eine Begegnung der unfriedlichen Art blühen konnte. Die Terrassentür auf der Gartenseite war geöffnet. Das gefiel mir ganz und gar nicht.
Im Wohnzimmer brannte kein Licht. Ich schaute durch das große Fenster und entdeckte zwei Frauenbeine. Der Rest des Körpers wurde von einem Sessel verdeckt. Der größte Teil des Wohnzimmers lag im Dunkeln. Falls jemand darauf wartete, dass ich durch die Terrassentür hereinkam, würde er leichtes Spiel haben.
Ich entschied mich für das Risiko. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend und nach allen Seiten horchend, betrat ich das Wohnzimmer. Es passierte nichts. Offenbar hatte der Eindringling das Haus schon wieder verlassen.
Ich schaltete das Licht ein. Marie Kaiser war bewusstlos. Ich zog sie auf die Seite und fühlte ihren Puls. Das Herz schlug normal, wie ich zu meiner Erleichterung feststellte. Vorsichtig betastete ich ihren Kopf, fühlte aber keine Wunde. Auch auf ihrem Nachthemd war kein Blut zu sehen.
Gerade wollte ich mich aufrichten, um den Notarzt anzurufen, als eine schwarze Gestalt durchs Wohnzimmer rannte. Sie trug eine Art schwarzen Overall und hatte eine schwarze Mütze über den Kopf gezogen, mit Schlitzen für die Augen und den Mund. Die Gestalt lief so dicht an mir vorbei, dass ich sie mit einem Sprung erreichen konnte. Als mir das klar wurde, war die Gestalt bereits an der Terrassentür und ich hockte immer noch wie versteinert neben Marie.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich die Gestalt verfolgen sollte. Dann verwarf ich den Gedanken. Der Mann – instinktiv hielt ich das schwarze Wesen für einen Mann – war ganz offensichtlich jünger, athletischer, kurz: schneller als ich. Nach ein paar hundert Metern hätte ich sowieso hechelnd aufgeben müssen. Und außerdem war es wichtiger, mich um Marie zu kümmern.
Ich rief den Notarzt und die Polizei an, dann schob ich Marie ein Kissen unter den Kopf und setzte mich neben sie auf den
Weitere Kostenlose Bücher