Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
ernst. Vielleicht war es nicht meine Aufgabe, zu verhindern, dass Lena unter die Räder kam. Aber die Art, wie Franka sich darüber lustig machte, ließ mich wütend werden.
»Ich werde sie suchen«, sagte ich hart. »Das bin ich mir und ihrer Schwester schuldig.«
Franka verstand. »Wie du meinst. Der Auftrag, von dem ich gesprochen habe, kann nicht länger warten. Du weißt, was das bedeutet?«
»Ja. Einen schönen Gruß an den Kollegen, der ihn bekommt.«
Ich legte auf und atmete tief durch. Meine beste Auftraggeberin zu vergrätzen war vermutlich nicht der klügste Schachzug gewesen. Andererseits gab es nicht viele Regeln, denen ich mein Leben unterwarf. Professionalität war eine davon. Zu versagen oder etwas nicht zu Ende zu bringen, ging mir gegen den Strich.
Ich überlegte, ob ich Nora Gessner gleich anrufen oder erst noch einen Versuch machen sollte, Lena wiederzufinden. Ich entschied mich dafür, mit dem Anruf zu warten.
Das Wohnwagenidyll am Stadthafen zwei hatte einen Knacks bekommen. Der Holzzaun wies ein großes Loch auf, der Rasen war von Fahrzeugen umgepflügt worden und über der Eingangstür des roten Wohnwagens, in dem Lena und Simon gelebt hatten, klebten Polizeibänder. Einzig der Mann mit dem flauschigen Pullover und der Kette aus Plastiktütenverschlüssen saß ungerührt auf seinem Stuhl. Im Tageslicht sah er für das Leben, das er führte, viel zu alt aus.
»Der elfte September war eine Verschwörung der Bush-Administration«, sagte er, als er mich sah. »Sie haben eine Gelegenheit gesucht, um die Weltherrschaft an sich zu reißen.«
»War Lena heute hier?«, fragte ich.
Er kraulte seine langen strähnigen Haare. »Nein. Nein, Lena war nicht da.«
Ich ging vor ihm in die Hocke und schaute ihm direkt in die Augen. Sein Blick war leer. Ich bezweifelte, dass er mich wiedererkannte. Vermutlich hatte er ebenfalls zu viele chemische Verbindungen geschluckt. Nicht auf einmal, wie Simon, sondern im Laufe so vieler Jahre, dass das Pulver irgendwann angefangen hatte, sein Gehirn zu zerstören.
»Vorgestern, als Simon gestorben ist, haben Sie da auch hier gesessen?«
»Kann sein.«
»Haben Sie fremde Menschen bemerkt, Leute, die Sie nicht kannten?«
»Bullen. Die Bullen haben uns überfallen.«
»Vor den Polizisten, meine ich. Als Simon noch lebte.«
Er versuchte ernsthaft sich zu erinnern. Sein Gesicht verkrampfte sich vor Anstrengung.
»Denken Sie nach!«, trieb ich ihn an. »Sind Fremde in den Wohnwagen da drüben gestiegen?« Ich zeigte auf den roten Wohnwagen.
Er schaute an mir vorbei. »Agenten des CIA.«
»Agenten des CIA waren hier?«
»Ja.«
»Wie sahen die aus?«
»Sie waren unsichtbar«, sagte er leise. »Die können sich tarnen.«
Ich stand auf und schüttelte meine steifen Beine.
»Wir müssen zusammenhalten.« Er begriff, dass ich ihn verlassen wollte, und wurde lauter. »Wenn wir nicht zusammenhalten, machen die uns fertig.«
Ich nickte. »So war das schon immer. Und so wird es auch bleiben.«
Vom Wohnwagencamp ging ich zum Ateliergebäude am Hawerkamp. Die Malerin, die Lena auf dem Foto erkannt hatte, stand vor ihrer Staffelei und arbeitete an einem Bild, das denen ähnelte, die an den Wänden lehnten: menschliche Schemen vor gelblichen Hintergründen. Es sah aus, als würden sich Karawanen durch Sandstürme kämpfen.
Im Gegensatz zum Verschwörungstheoretiker erinnerte sie sich sofort an mich: »Was wollen Sie denn schon wieder?«
»Dasselbe wie beim ersten Mal: Ich suche Lena.« Ich gab ihr eine von meinen Visitenkarten. »Ich bin Privatdetektiv und arbeite im Auftrag von Lenas Familie.«
Sie legte die Karte achtlos beiseite. »Ich habe doch gesagt, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Ich weiß, dass Sie Lena kennen. Ich weiß auch, dass Sie am Freitagabend mit ihr gesprochen haben.«
»Na und?« Die Frau wurde sauer. »Das geht Sie einen Dreck an.«
»Möglicherweise ist Lena in Gefahr«, redete ich unbeirrt weiter. »Ihr Freund ist vorgestern ums Leben gekommen.«
Ihre Abwehrhaltung bröckelte. »Und was hat Lena damit zu tun?«
»Es steht noch nicht fest, ob Simon ermordet wurde, aber einiges deutet darauf hin«, bluffte ich. »Die Männer, die ihn auf dem Gewissen haben, könnten jetzt hinter Lena her sein.«
Sie dachte nach. »Und wer sagt mir, dass Sie nicht einer dieser Männer sind?«
Ich holte mein Handy aus der Tasche. »Fragen Sie Lenas Schwester in Zürich! Ich gebe Ihnen die Nummer.«
Angelockt von unserer lautstarken Unterhaltung,
Weitere Kostenlose Bücher