Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation
er hektisch.
»Von einer öffentlichen Telefonzelle.«
»Okay. Es haben sich ein paar Dinge getan. Beunruhigende Entwicklungen.«
»Deine Tochter hat mich angerufen.«
»Was?«
»Zumindest hat sie behauptet, sie sei Felizia Sanddorn. Sie hat mich gebeten, nicht mehr nach ihr zu suchen.«
»Warte!« Er legte das Handy zur Seite. Ich hörte Fahrgeräusche. »Bin wieder da. Ich muss dir wohl einiges erklären.«
»Das denke ich auch.«
»Ich bin sowieso in der Nähe. Kennst du die Wochenendhäuser an der Werse, zwischen Wolbecker und Warendorfer Straße?«
»Ja.«
»Etwa in der Mitte steht ein grün angestrichenes Holzhaus, direkt an der Straße. Sei in zwei Stunden da. Aber nicht früher, auf keinen Fall früher!«
Ich versprach es.
Eine Stunde später bog ich von der Wolbecker Straße in die schmale Werseuferstraße ein. Ich nahm an, dass Fahle vor mir noch eine andere Person treffen wollte, die ich nicht sehen sollte. Doch ich hatte keine Lust mehr auf seine Spielchen.
Vorher hatte ich mit meinem Wagen einen kleinen Abstecher nach Norden gemacht, zuerst auf der Autobahn, dann durch einige nachtschlafene Vororte von Münster, um eventuelle Verfolger abzuhängen.
In dem Holzhaus, das Fahle beschrieben hatte, brannte Licht. Ich fuhr langsam vorbei, konnte aber nicht hineinsehen, da die Vorhänge zugezogen waren. Die Straße endete an einem kleinen Parkplatz. Ich stellte den Wagen ab und lief auf der Straße zurück. Links erstreckten sich Felder, rechts, in die Uferböschung der Werse hineingebaut, standen die Wochenendhäuser, von denen etliche die Ausmaße kleiner Villen hatten.
Das grüne Holzhaus gehörte zu den schlichten Modellen. Ich blieb stehen und lauschte. Aus dem Inneren drang nicht der geringste Laut. Vielleicht irrte ich mich ja und Fahle war noch gar nicht da. Und das Licht brannte nur deswegen, weil jemand vergessen hatte, es auszuschalten. Vorsichtig schob ich den Riegel des Gartentores zurück und betrat den gepflasterten, zum Fluss hin abfallenden Weg, der zur Rückseite des Hauses führte. Auch möglich, dass Fahle seelenruhig in einem Sessel saß. Oder die Person, mit der er verabredet war. Was würde die Person wohl sagen, wenn sie mich zu sehen bekam? Würde sie überhaupt etwas sagen oder gleich schießen?
Eine auf zwei Meter hohen Pfählen gestützte Holzterrasse klebte an der Flussseite des Hauses. An lauschigen Sommerabenden sicher ein idyllischer Ort, um bei einem Glas Rotwein auf den Fluss zu schauen oder philosophische Gespräche zu führen. Von dort oben würde ich einen Blick ins Innere werfen können, denn die Terrassentür und das Fenster daneben waren nicht durch Vorhänge abgeschirmt. Vorher musste ich jedoch eine Holztreppe überwinden, die unter Umständen knarren würde.
Ich riskierte es, die Treppe knarrte. Mein Herz tackerte wie eine Nähmaschine. Ich sah ein Sofa, zwei Sessel, eine Stehlampe und ein Buch, das auf dem Tisch in der Mitte lag. Das Ganze hätte noch gemütlicher gewirkt, wäre da nicht der Schuh zwischen Lampe und Sofa gewesen. Denn in dem Schuh steckte ein Bein.
Die Terrassentür war nicht verschlossen. Ich hielt den Atem an und ging um das Sofa herum. Fahle hatte ein Loch in der Stirn und eine Pistole lag neben seiner rechten Hand. Es sollte so aussehen wie Selbstmord. Aber ich zweifelte keinen Moment daran, dass die Szene arrangiert worden war.
Fahle hatte mich belogen. Er war viele Jahre seines Lebens einer verrückten, menschenverachtenden Ideologie nachgelaufen, hatte skrupellos Verbrechen, wenn nicht sogar Morde begangen. Trotzdem lag da ein Vater, der Angst um seine Tochter gehabt hatte. Während ich sein entstelltes Gesicht betrachtete, wünschte ich mir, ich wäre nicht nach Amsterdam gefahren und eine Nacht lang mit ihm durch die Kneipen gezogen. Denn dann hätte mir sein Tod gleichgültiger sein können.
Meine Hand zitterte, als ich das Handy aus der Tasche zog. Den Rest der Nacht würde ich weitere blöde Fragen beantworten müssen, aber ich war es Fahle schuldig, mich nicht einfach aus dem Staub zu machen.
Draußen knarrte ein Holzbalken. Ich schaute hoch und wusste gleichzeitig, dass das ein Fehler war. Anstatt in Deckung gegangen zu sein, bot ich ein nicht zu verfehlendes Ziel. Der Schuss war erstaunlich leise, wie von einer Luftpistole. Und auch der darauf folgende Schmerz warf mich nicht um. Er kam mir vor wie ein Nadelstich. Ich blickte nach unten und entdeckte einen Pfeil, der in meiner Brust steckte.
Was für ein Quatsch,
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