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Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation

Titel: Wilsberg 17 - Wilsberg und die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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vor dem ersten Staatsexamen.«
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Dann wurde mir klar, dass die Gesetze von denen gemacht werden, die die Macht haben. Dass die Justiz dazu dient, die gesellschaftliche Ausbeutung zu schützen. Ein paar arme Schlucker werden verurteilt, weil sie eine Bank überfallen, obwohl der Bankbesitzer der größere Verbrecher ist. Das fand ich zum Kotzen.«
    »Sie hätten Anwältin werden können.«
    »Um für die armen Schlucker eine mildere Strafe zu erkämpfen? Nein, ich wollte dem ganzen System eins in die Fresse hauen.«
    Wir saßen vor dem Kamin im Erdgeschoss. Regina Fuchs trug einen Jogginganzug und hatte sich in eine Wolldecke gewickelt. Das Gehen fiel ihr zwar noch schwer, aber sie hatte sich erstaunlich schnell erholt. Zusammen konnten wir uns gute Chancen ausrechnen, die Hundertmeterstrecke unter einer Stunde zu schaffen.
    Ich stocherte mit einer Eisenzange im Feuer herum. Die beiden Polizisten, die Lütkens und Theißing abgelöst hatten, saßen in der Küche. Ab und zu drehte einer von ihnen eine Runde ums Haus. Zum Abendessen hatte ich für alle Spaghetti mit Tomatenpesto gekocht und einen Tomaten-Mozzarella-Basilikum-Salat zubereitet. Die Zutaten hatte Theißing in Bad Iburg gekauft. Vorher musste ich ihm alles ganz genau erklären, offenbar hatte der junge Mann noch nie selbstständig etwas fabriziert, was einen höheren Schwierigkeitsgrad als eine Fertigpizza besaß. Mit dem Ergebnis meiner Kochkunst war ich dennoch ganz zufrieden, nur der Rotwein hätte ein paar Euro teurer sein dürfen.
    »Ich war Anwalt«, sagte ich. »Ich habe die armen Schlucker verteidigt. Und ein paar Demonstrationsteilnehmer, die Steine geworfen oder Polizisten beleidigt haben. Rückblickend war es die schönste Zeit in meinem Leben. Ich habe etwas Nützliches getan. Leider habe ich das damals nicht kapiert.«
    »Das Justizsystem braucht Leute wie Sie, um den Schein von Gerechtigkeit zu wahren«, sagte Fuchs.
    »Und Sie haben den Kapitalismus mit einigen Personen verwechselt, die darin eine Funktion hatten. Haben Sie geglaubt, es würde sich etwas ändern, wenn Sie einen Bankchef töten? Das ist erbärmlich und obendrein unpolitisch. Hätten Sie die ersten fünfzig Seiten von Marx’ Kapital gelesen, wäre Ihnen das nicht passiert.«
    Sie schaute mich überheblich an. »Dachte ich mir schon, dass Sie mal ein Salonlinker waren. Einer von denen, die große Reden geschwungen und nichts riskiert haben. Wir haben wenigstens den Versuch unternommen, die Geschichte zu verändern.«
    Wahrscheinlich glaubte sie wirklich, was sie sagte. »Und was ist dabei herausgekommen?«, fragte ich. »Ein paar Gesetzesverschärfungen, die alle betreffen. So wie die heutigen Terroranschläge der islamischen Fundamentalisten dazu genutzt werden, den totalen Überwachungsstaat einzuführen.«
    »Wir haben die Situation falsch eingeschätzt«, gab Fuchs zu. »Wir haben geglaubt, dass wir stärker in die Gesellschaft hineinwirken können.«
    »Klar, die Fließbandarbeiter von Opel werfen ihre Schraubenschlüssel weg und folgen der RAF im Kampf gegen die Konzerne.«
    »Im Nachhinein lassen sich solche Scherze billig machen«, sagte sie todernst. »Wir waren jung und hatten Hoffnungen. Aber wir waren auch in der Lage, aus unseren Fehlern zu lernen. Im August-Papier von 1992 haben wir Selbstkritik geübt, so radikal wie keine andere RAF-Kommandoebene vor uns. Wir haben geschrieben, dass es uns nicht gelungen ist, eine Verbindung zwischen dem Kampf der Guerilla und den Anti-Nato- und Anti-AKW-Bewegungen herzustellen, dass ein Durchkommen der Befreiungsbewegungen nirgends absehbar ist, dass der Imperialismus nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems auf ganzer Linie gesiegt hat. Im Grunde haben wir eingestanden, dass wir mit unserem Konzept des bewaffneten Kampfes gescheitert sind. Was verlangen Sie mehr?«
    »Vielleicht ein Wort des Bedauerns über die Opfer, die Ihr Kampf gekostet hat, über die getöteten und verletzten Menschen, die Sie hinterlassen haben.«
    »Hat der Staat jemals bedauert, siebenundzwanzig unserer Genossinnen und Genossen getötet zu haben?«
    Ich nahm ein Holzscheit und legte es auf die heruntergebrannte Glut.
    »Ich weiß, was Sie denken«, sagte Regina Fuchs leise. »Sie halten mich für eine verbohrte und unbelehrbare Spinnerin.«
    »Möglich.«
    »Weil Sie Ihren Frieden mit der Gesellschaft geschlossen und sich in Ihrer kleinen Ecke behaglich eingerichtet haben.«
    »Im Alter wird man

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