Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
eine dritte Tasse Kaffee ein und zündete sich eine Pfeife an.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er trank seine Tasse aus – er war nicht der Mann, der sich um die Freuden des Lebens brachte und folgte Maggie leise nach oben. Er sah eine halboffene Tür es war das Zimmer, in dem er bei seinem letzten Hiersein selbst gewohnt hatte – und stieß sie ganz auf. Im Bett lag ein rothaariger Mann mit fuchsartigem Gesicht, das durch den weißen Verband, der sich verwegen um die linke Schläfe schlang, nicht eben verschönert wurde. Auf dem Nachttischchen stand ein Frühstückstablett. Wimsey trat mit ausgestreckter Hand ans Bett.
«Guten Morgen, Mr. Ferguson», sagte er. «Was für eine unerwartete Freude.»
«Guten Morgen», antwortete Mr. Ferguson verstimmt.
«Als wir uns das letzte Mal begegneten», fuhr Wimsey fort, indem er sich aufs Bett setzte, «hatte ich ja keine Ahnung, daß Sie vorhatten, meinen Freund Macpherson zu besuchen.»
«Gehen Sie von meinem Bein runter», knurrte der Kranke.
«Meine Kniescheibe ist kaputt.»
«Wie unangenehm! Furchtbar schmerzhaft, nicht? Und wie es heißt, braucht so etwas Jahre, um wieder in Ordnung zu kommen – falls es überhaupt je wieder in Ordnung kommt. Ist es eine sogenannte Potts-Fraktur? Ich weiß nicht, wer Potts war, aber es klingt so eindrucksvoll. Wie haben Sie denn das gemacht? Beim Angeln passiert?»
«Ja. Bin in diesem dämlichen Fluß ausgerutscht.»
«Schlimm. Aber so was kann jedem passieren. Sind Sie ein passionierter Angler, Mr. Ferguson?»
«Halbwegs.»
«Ich auch, wenn ich mal die Gelegenheit dazu habe. Was für Fliegen bevorzugen Sie denn in diesem Landesteil? Ich selbst habe Grüne Gatschen ganz gern. Haben Sie die schon mal versucht?»
«Nein», antwortete Mr. Ferguson kurz angebunden.
«Manche Leute finden ja die Rosa Siske besser. Haben Sie so eine? Haben Sie Ihre Fliegenbüchse hier?»
«Ja – nein», sagte Mr. Ferguson. «Die hab ich verloren.»
«Pech. Aber sagen Sie mir mal, was Sie von der Rosa Siske halten.»
«Nicht schlecht», antwortete Mr. Ferguson. «Hab schon manchmal Forellen damit gefangen.»
«Das überrascht mich aber», meinte Wimsey, und das war nicht verwunderlich, denn er hatte die Fliegen soeben erfunden und kaum damit gerechnet, damit durchzukommen. «Na ja, ich fürchte allerdings, daß Ihr Mißgeschick Ihnen diese Angelsaison verdorben hat. So ein Pech aber auch. Sonst hätten Sie uns nämlich helfen können, heute den Patriarchen zu erwischen.»
«Wer oder was ist denn das? Eine Forelle?»
«Ja. Ein ungemein schlauer alter Bursche. Treibt sich im Fleet herum. Man weiß nie, wo man ihn gerade findet. Jeden Augenblick kann er in dem einen oder anderen Tümpel auftauchen. Ich gehe heute mit Mac hinaus, um ihn zu suchen. Ein wahres Juwel von einem Fisch. Wir haben ihm den Spitznamen Großonkel Joseph gegeben. Na, na – zappeln Sie nicht so, das schadet Ihrem Knie. Kann ich etwas für Sie tun?»
Er grinste liebenswürdig und drehte sich um, denn von der Treppe her ertönte ein Ruf.
«Hallo, Wimsey! Sind Sie das?»
«Ja. Was macht die Kunst?»
Macpherson kam die Treppe heraufgesprungen, immer vier Stufen auf einmal nehmend. Er begegnete Wimsey auf dem Treppenabsatz, als dieser aus dem Zimmer kam.
«Sagen Sie, wissen Sie, wer das ist? Das ist Robert!»
«Ich weiß. Bin ihm in London begegnet. Aber egal. Haben Sie Großonkel Joseph gefunden?»
«Nein. Was soll diese ganze Heimlichtuerei? Und was will Robert hier? Was meinten Sie damit, als Sie schrieben, er sei der Einbrecher? Und warum ist Großonkel Joseph so wichtig?»
«Eins nach dem andern. Finden wir den alten Knaben zuerst einmal. Was haben Sie inzwischen gemacht?»
«Also, nach Ihrem höchst merkwürdigen Telegramm habe ich zunächst mal gedacht, Sie müßten verrückt geworden sein.»
(Wimsey gab einen ungehaltenen Ton von sich.) «Aber dann habe ich mir überlegt, wie komisch es ist, daß jemand Großonkel Joseph für stehlenswert halten sollte, und da habe ich mir gedacht, daß an dem, was Sie schrieben, vielleicht doch etwas dran sein könnte.» («Wie nett von Ihnen», sagte Wimsey.) «Da bin ich also rausgegangen und hab ein bißchen herumgestochert. Nicht daß ich mir die allerkleinste Chance ausgerechnet hätte, etwas zu finden, wo doch jetzt das Wasser derart heruntergerauscht kommt. Also, und ich war noch nicht weit gekommen – übrigens war Jock dabei. Der hält mich sicher auch für verrückt. Er sagt natürlich nichts. Diese Leute machen
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