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Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Titel: Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Sekunde schien Mrs. Ruyslaenders Herz stillzustehen. Konnte es denn möglich sein, daß Gott ihr selbst jetzt noch ein Schlupfloch gelassen hatte? Sie erwartete nicht viel von IHM. Ihr ganzes Leben hatte IHN als einen unnachsichtigen Gläubiger ausgewiesen. Es wäre Phantasterei, auch nur die allerkleinste Hoffnung auf die Unterschrift eines Mannes zu setzen, den sie ihr Lebtag noch nie gesehen hatte.
    Und doch wollte ihr der Name nicht mehr aus dem Kopf, als sie in ihrem Zimmer zu Abend aß. Wenig später entließ sie ihr Dienstmädchen, dann saß sie noch lange vor dem Spiegel und betrachtete ihr verhärmtes Gesicht. Zweimal stand sie auf und ging zur Tür – beide Male kehrte sie wieder um und schalt sich eine Närrin. Beim drittenmal drehte sie entschlossen den Knauf und eilte den Korridor entlang, ohne sich erst Zeit zum Nachdenken zu lassen.
    Ein großer goldener Pfeil an der Ecke zeigte ihr den Weg zu Suite 24. Es war schon elf Uhr, und weit und breit war niemand zu sehen. Mrs. Ruyslaender klopfte einmal kurz und energisch an Lord Peter Wimseys Tür, dann trat sie einen Schritt zurück und wartete, während sich in ihr jenes Gefühl verzweifelter Erleichterung breitmachte, das man hat, nachdem man einen gefährlichen Brief auf den Boden des Briefkastens hat plumpsen hören. Was auch kommen mochte, es gab jetzt kein Zurück mehr.
    Der Diener war einer von der unerschütterlichen Sorte. Er gab sich weder einladend noch abweisend, sondern stand nur respektvoll auf der Schwelle.
    «Lord Peter Wimsey?» flüsterte Mrs. Ruyslaender.
    «Ja, Madam.»
    «Könnte ich ihn einen Augenblick sprechen?»
    «Seine Lordschaft hat sich soeben zurückgezogen, Madam.
    Wenn Sie kurz eintreten möchten, werde ich nachfragen.» Mrs. Ruyslaender folgte ihm in einen jener feudalen Salons, die das Magnifical für den wohlhabenden Pilger bereithält. «Möchten Sie bitte Platz nehmen, Madam?»
    Der Diener ging lautlos zur Schlafzimmertür, trat ein und machte sie hinter sich zu. Das Schloß schnappte jedoch nicht richtig ein, und Mrs. Ruyslaender konnte die Unterredung mit anhören.
    «Verzeihung, Mylord, eine Dame ist da. Da sie nichts von einer Verabredung erwähnt hat, hielt ich es für besser, Eure Lordschaft zuerst in Kenntnis zu setzen.»
    «Ausgezeichnete Diskretion», antwortete eine Stimme. Sie hatte einen lässigen, sarkastischen Tonfall, der Mrs. Ruyslaender eine schamhafte Röte in die Wangen trieb.
    «Ich treffe nie Verabredungen. Kenne ich die Dame?» «Nein, Mylord. Aber – ähäm – ich kenne sie vom Sehen, Mylord. Es ist Mrs. Ruyslaender.»
    «Oh, die Frau des Diamantenhändlers. Na ja, versuchen Sie taktvoll herauszubekommen, worum es geht, und wenn es nichts Dringendes ist, sagen Sie ihr, sie soll morgen wieder kommen.»
    Die nächste Bemerkung des Dieners war nicht zu hören, doch die Antwort darauf lautete: «Nicht unanständig werden, Bunter!»
    Der Diener kam zurück.
    «Seine Lordschaft bittet mich, Sie zu fragen, Madam, in welcher Weise er Ihnen zu Diensten sein kann.»
    «Sagen Sie ihm bitte, daß ich im Zusammenhang mit den Attenbury-Diamanten von ihm gehört habe und nun sehr gern einen Rat von ihm hätte.»
    «Gewiß, Madam. Darf ich, da Seine Lordschaft sehr müde ist, anmerken, daß er Ihnen sicher besser helfen kann, wenn er erst ausgeschlafen hat?»
    «Wenn morgen noch Zeit wäre, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, ihn heute abend zu stören. Ich weiß, welche Ungelegenheiten ich ihm bereite –»
    «Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Madam.» Diesmal ging die Tür richtig zu. Nach kurzer Pause kam Bunter zurück, um zu melden: «Seine Lordschaft wird gleich bei Ihnen sein, Madam.» Damit stellte er eine Karaffe Wein und ein Kästchen mit schwarzen russischen Zigaretten vor sie hin. Mrs. Ruyslaender zündete sich eine Zigarette an, aber kaum hatte sie ihr Aroma gekostet, da hörte sie einen leisen Schritt hinter sich. Sie sah sich um und erblickte einen jungen Mann in einem prächtigen malvenfarbenen Morgenmantel, unter dessen Saum die Hosenbeine eines primelgelben Seidenpyjamas züchtig hervorlugten.
    «Sie müssen es sehr eigenartig von mir finden, daß ich mich Ihnen um diese Zeit noch aufdränge», sagte sie mit nervösem Lachen.
    Peter legte den Kopf schief.
    «Darauf weiß ich jetzt nicht die richtige Antwort», sagte er. «Wenn ich sage: ‹Keineswegs›, klingt es liederlich. Sage ich aber: ‹Ja, und wie›, ist es ungezogen. Ich schlage vor, wir übergehen das, ja? Und dann sagen

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