Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
er beigelegt – und ob ich sie ihm bringen könnte, wenn ich das nächste Mal nach da oben käme. Ich arbeite im Transportgewerbe – Sie haben ja meine Karte – und fahre immerzu im Land auf und ab. Zufällig mußte ich gerade heute mit dieser Norton in die Richtung, da hab ich also gegen Mittag die Tasche geholt und bin damit losgefahren. Das Datum auf dem Aufbewahrungsschein ist mir nicht aufgefallen. Ich weiß nur, daß ich nichts dafür bezahlen mußte, demnach kann sie nicht lange dort gewesen sein. Naja, dann ging alles genauso, wie Sie sagen, bis Finchley, da hat mir dann der Junge zugerufen, daß der Riemen locker ist, und ich hab ihn festgezogen. Und da hab ich gemerkt, daß die Tasche an einer Ecke aufgeplatzt und ganz feucht war und – und da – da hab ich gesehen, was Sie auch gesehen haben. Es hat mir richtig den Magen umgedreht, und dann hab ich den Kopf verloren. Ich hatte nur noch einen Gedanken, und zwar das Ding so schnell wie möglich loszuwerden. Ich wußte, daß es auf der Straße nach Norden viele einsame Strecken gibt, also hab ich den Riemen angeschnitten, fast durch – das war, als ich in Barnet einen trinken gegangen bin –, und dann, als ich dachte, es ist niemand in Sichtweite, hab ich nur nach hinten gegriffen und einen kurzen Ruck gemacht, und weg war die Tasche – mit Riemen und allem; ich hatte ihn nämlich nicht durch die Ösen gezogen. Und wie sie runterfiel, war das für mich, als wenn mir ein großer Stein vom Herzen geplumpst wäre. Wahrscheinlich ist Walters gerade in dem Moment in Sicht gekommen. Ich mußte ein paar Meilen weiter etwas langsamer fahren, weil da gerade Schafe auf eine Wiese getrieben wurden, und da hörte ich ihn hinter mir hupen und – o mein Gott!»
Er vergrub stöhnend den Kopf in die Hände.
«Aha», sagte der Polizeichef von Eaton Socon. «Das ist also Ihre Aussage. Und nun zu diesem Thomas Owen –»
«Ach was», rief Lord Peter Wimsey, «lassen Sie diesen Thomas Owen aus dem Spiel. Das ist nicht der Mann, den Sie suchen. Sie nehmen doch nicht an, daß einer, der einen Mord begangen hat, sich von jemand anderm den Kopf nach Birmingham nachbringen läßt! Der sollte wahrscheinlich schön in der Gepäckaufbewahrung von Paddington bleiben, bis der schlaue Sünder über alle Berge oder der Kopf nicht mehr zu erkennen war oder beides. Dort dürften wir dann übrigens meine Familiensteinchen finden, die Ihr einnehmender Freund Owen mir aus dem Wagen geklaut hat. So, Mr. Simpkins, und jetzt nehmen Sie sich mal zusammen und erzählen uns, wer neben Ihnen an der Gepäckaufbewahrung stand, als Sie die Tasche abholten. Versuchen Sie sich genau zu erinnern, denn diese hübsche kleine Insel ist kein Platz mehr für ihn, und während wir hier herumstehen und reden, besteigt er das nächste Schiff.»
«Ich erinnere mich nicht», ächzte Simpkins. «Mir ist keiner aufgefallen. Mir dreht sich alles im Kopf.»
«Macht nichts. Gehen wir zurück. Denken Sie ruhig nach. Stellen Sie sich vor, wie Sie von Ihrer Maschine gestiegen sind und sie irgendwo angelehnt haben –»
«Nein, ich hab sie auf den Ständer gestellt.»
«Gut! Weiter so. Jetzt überlegen Sie – Sie nehmen den Aufbewahrungsschein aus der Tasche und gehen hin -versuchen, sich dem Schalterbeamten bemerkbar zu machen.»
«Das ging zuerst gar nicht. Da war so eine alte Frau, die wollte einen Kanarienvogel aufgeben, und ein sehr aufgeregter Mann mit Golfschlägern, der es furchtbar eilig hatte. Er war richtig ungezogen zu so einem stillen kleinen Mann mit – Himmel, ja! Mit einer Reisetasche genau wie dieser da. Ja, so war’s. Der kleine Mann hatte sie schon eine ganze Weile auf dem Schaltertisch stehen, und der große stieß ihn einfach beiseite. Ich weiß nicht so genau, was dann passiert ist, denn gerade da wurde mir meine Tasche gegeben. Der große Mann schob sein Gepäck genau vor uns beide hin, und ich mußte darübergreifen – und ich vermute – ja, ich muß dann wohl die falsche Tasche genommen haben. Du lieber Gott! Wollen Sie damit etwa sagen, daß dieser schüchterne kleine Mann, der so unscheinbar aussah, ein Mörder war?»
«So sehen viele aus», warf der Polizeichef von Hatfield ein.
«Aber wie sah er nun aus – los, sagen Sie schon!»
«Ungefähr einsfünfundsechzig groß, hatte einen Filzhut auf und trug einen staubgrauen Mantel. Sehr gewöhnlich, mit ziemlich schwachen, vorstehenden Augen, glaube ich, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn wiedererkennen würde. Ach ja,
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