Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
gleich aus dem Kopf schlagen. Er konnte in der kleinen Aktentasche nicht einen neuen Anzug und einen Regenmantel gehabt haben, und er konnte auch nicht gut in die Stadt gegangen sein, sich einen neuen Anzug gekauft und dann ein Zimmer gemietet haben, um sich umzuziehen. Das heißt, er konnte , aber das wäre ein unnötiges Risiko gewesen. In diesem Fall hätte er erst mit einem viel späteren Zug von Ayr fortfahren können, und je länger er sich in Ayr aufhielt, desto wertloser wurde sein Alibi. Und wenn er sich gar kein Alibi hatte aufbauen wollen, welchen Sinn hätte dann das raffinierte Vorgehen am Minnoch gehabt? Wenn er dann weiter nach Glasgow gefahren war, konnte er dort frühestens um 15 Uhr 29 angekommen sein, und später war er nach aller Wahrscheinlichkeit nicht gefahren.
Blieb der Zug um 14 Uhr 25. Er konnte der graugekleidete Reisende nach Euston gewesen sein. Aber wenn ja, warum hätte er dann das Fahrrad mitgenommen, offiziell oder inoffiziell? Ebensogut hätte er es in Ayr auf dem Bahnhof stehenlassen können.
Aber nein! Vielleicht war es sogar das beste, was er tun konnte, es mitzunehmen. Er wußte ja, daß man vielleicht danach suchen würde – zumindest als gestohlenes Fahrrad, wenn nicht als mögliches Beweisstück in einem Mordfall. Euston war größer und weiter vom Tatort entfernt als Ayr. In London konnte einem sehr leicht ein Fahrrad abhanden kommen, und solange ihn niemand damit sah, konnte er leugnen, irgend etwas damit zu tun zu haben.
Konstabler Ross war mit keiner dieser Erklärungen so recht zufrieden. Es war durchaus möglich, daß der Mann mit gar keinem Zug weitergefahren war. Er konnte jetzt noch in Ayr herumlaufen. Er konnte ein Auto gemietet oder mit einem Bus irgendwohin gefahren sein. Er fand, daß die Geschichte für einen allein zu kompliziert wurde. Also beschloß er, mit seinem Bericht nach Newton Stewart zurückzukehren und sich weitere Anweisungen zu holen.
Die erste Aufgabe bestand zweifellos darin, festzustellen, was aus dem Fahrrad geworden war, sollte es je in London angekommen sein. Dalziel fragte in Euston an. Eine Stunde später kam die Antwort. Ein Fahrrad, auf das die Beschreibung paßte, war richtig am Mittwoch früh um fünf Uhr angekommen. Da es von niemandem abgeholt wurde, hatte man es zur Gepäckaufbewahrung gebracht, wo es auf seinen Besitzer wartete. Es war ein Raleigh und entsprach der durchgegebenen Beschreibung.
Die Polizisten kratzten sich erst einmal am Kopf, dann wiesen sie den Bahnhof an, das Fahrrad dazubehalten, bis jemand käme, um es zu identifizieren. Die Londoner Polizei wurde gebeten, in diesem Falle Amtshilfe zu leisten, obgleich man kaum damit rechnete, denn wenn es sich wirklich um das gestohlene Fahrrad handelte, müßte einer schon sehr dumm sein, es auch noch abholen zu wollen.
«Er würd’s gar nicht kriegen, wenn er’s holen wollte», sagte Konstabler Ross. «Ohne Gepäckschein rrrücken die das nicht rrraus.»
«Ach nee?» meinte Sergeant Dalziel. «Und wenn der Kerl ausgestiegen ist und sich in einem anderen Bahnhof einen Gepäckschein besorgt hat? Vielleicht in Carlisle oder Crewe oder Rugby?»
«Stimmt auch wieder», gab Ross zu. «Aber dann hätte er es sicher eher abgeholt. Je länger er es dort läßt, desto rrriskanter wird’s für ihn.»
«Wir sollen froh sein, daß es nicht schon weg ist», sagte Dalziel.
«Hm», machte Ross, sehr mit sich zufrieden.
Auch Inspektor MacPherson war mit sich zufrieden. Er war schon früh nach Newton Stewart gefahren, um Sergeant Dalziel seinen Zeitplan vorzulegen, und warf sich mächtig in die Brust.
«Paßt alles prrrima in meine Theorie», sagte er. «Wenn das nicht Farrens Fahrrad ist, frrreß ich meine Mütze.»
Inzwischen wartete auf Sergeant Dalziel ein herber Schlag. Voll Stolz über seine eigene schnelle Tüchtigkeit hatte er gestern abend auf der Rückfahrt von Ayr einen Satz Fotografien in der Polizeistation Girvan hinterlassen und veranlaßt, daß sie dem Dienstmann McSkimming vorgelegt würden, sowie er am nächsten Morgen zur Arbeit käme, um zu sehen, ob er den Mann im grauen Anzug vielleicht identifizieren könne. Jetzt rief die Polizei von Girvan an und berichtete, daß der Dienstmann in der Nacht ins Krankenhaus gebracht worden sei; seine schlimmen Bauchschmerzen hätten sich als akute Blinddarmentzündung entpuppt. Ein Anruf im Krankenhaus ergab, daß der Mann in eben diesem Augenblick operiert werde und in nächster Zeit mit Sicherheit noch keine Aussage
Weitere Kostenlose Bücher