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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Henry. »Sie könnten einem doch wenigstens mal –«
    Und in diesem Augenblick bekam Harriet richtige Angst. Sie stieß einen Schrei aus, der nicht gespielt war, sondern ein echter, ernstgemeinter Schrei, gefolgt von einer Ohrfeige, die kein Streicheln war. Henry ließ sie verdutzt für eine Sekunde los. Sie riß sich von ihm fort – und in diesem Augenblick kam Mrs. Weldon, von dem Schrei herbeigerufen, ans Bachufer gelaufen.
    »Was ist denn hier passiert?«
    »Ich habe eine Schlange gesehen!« rief Harriet erregt. »Es war bestimmt eine Kreuzotter.«
    Sie schrie noch einmal, und Mrs. Weldon, die eine heillose Angst vor Schlangen hatte, schrie gleich mit. Henry hob maulend die heruntergefallenen Teller auf und sagte zu seiner Mutter, sie solle sich nicht so anstellen.
    »Kommt zum Auto«, sagte Mrs. Weldon. »An diesem schrecklichen Ort bleibe ich keine Sekunde länger!«
    Sie gingen zum Wagen zurück. Henry machte ein verdrießliches und gekränktes Gesicht; er fühlte sich schlecht behandelt, und das nicht ganz zu unrecht. Aber Harriets Gesicht war blaß genug, um zu beweisen, daß sie einen echten Schrecken bekommen hatte, und sie bestand darauf, auf der Rückfahrt hinten zu sitzen, bei Mrs. Weldon, die sie mit einem Riechfläschchen traktierte und sich in Ausrufen des Entsetzens und Mitgefühls erging.
    In Wilvercombe angekommen, hatte Harriet sich inzwischen wieder so weit gefangen, daß sie Henry in aller Form danken und sich für ihr dummes Benehmen entschuldigen konnte. Aber sie war noch immer nicht wieder ganz bei sich und lehnte es ab, mit ins Hotel zu gehen; vielmehr wolle sie sofort zu Mrs. Lefranc zurück und sich auf ihr Zimmer begeben. Daß Henry sie dorthin begleitete, komme gar nicht in Frage – davon wolle sie gar nichts hören – nein, ihr fehle nichts – das Laufen werde ihr guttun. Henry, der noch immer beleidigt war, drängte sich nicht auf. Harriet ging, aber nicht zu Mrs. Lefranc. Sie rannte zum nächsten Telefonhäuschen und rief das Hotel Bellevue an. Ob Lord Peter Wimsey im Haus sei? Nein, er sei fortgegangen; ob man ihm etwas ausrichten könne? Natürlich. Ob er bitte sofort zu Miss Vane kommen könne, sowie er zurück sei? Es sei ungemein dringend. Gewiß würde man ihm das ausrichten. Nein, man würde es bestimmt nicht vergessen.
    Harriet ging nach Hause, setzte sich auf Paul Alexis’ Stuhl und betrachtete Paul Alexis’ Ikone. Sie war völlig aus der Fassung.
    Eine Stunde hatte sie so dagesessen, ohne auch nur den Hut abzunehmen oder die Handschuhe auszuziehen – nur grübelnd, als es plötzlich Lärm auf der Treppe gab. Schritte kamen herauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, dann klopfte es, und die Tür wurde so unmittelbar darauf aufgestoßen, daß das Klopfen eigentlich überflüssig gewesen wäre.
    »Hallo-hallo! Da sind wir ja alle. Was gibt’s? Etwas Aufregendes? Tut mir leid, daß ich nicht da war – Halt! Nanu! Aufhören! Es ist doch alles gut – das heißt, es ist doch alles gut, ja?«
    Er löste seinen Arm behutsam aus Harriets verzweifelter Umklammerung und schloß die Tür.
    »Also, mein Kind! Was ist denn nun passiert? Sie sind ja ganz aus dem Häuschen!«
    »Peter! Ich glaube, ich bin von einem Mörder geküßt worden.«
    »So so. Geschieht Ihnen recht, wenn Sie sich von aller Welt küssen lassen, nur nicht von mir. Du lieber Himmel! Da wehren Sie sich mit allen möglichen Ausflüchten gegen einen vollkommen liebenswerten und halbwegs tugendhaften Menschen wie mich, und als nächstes höre ich, daß Sie sich in der widerwärtigen Umarmung eines Mörders suhlen. Nein, wirklich! Ich weiß nicht, wohin es mit der modernen jungen Frau gekommen ist.«
    »Er hat mich nicht direkt geküßt – nur in den Arm genommen.«
    »Sag ich ja – ›widerwärtige Umarmung‹ habe ich gesagt. Und was noch schlimmer ist, anschließend schicken Sie Brandmeldungen in mein Hotel, damit Sie sich hier an meinem Elend weiden können. Abscheulich. Widerlich. Setzen Sie sich. Nehmen Sie diesen lächerlichen, ordinären Hut ab und sagen Sie mir, wer dieser niederträchtige, holzköpfige, flatterhafte, liederliche Mörder ist, der mit seinen Gedanken nicht einmal beim Morden bleiben kann, sondern im Land herumschwirrt und angemalte Frauen umarmt, die ihm nicht gehören.«
    »Na gut. Bereiten Sie sich auf einen Schock vor. Es war Haviland Martin.«
    »Haviland Martin?«
    »Haviland Martin!«
    Wimsey ging langsam an einen Tisch beim Fenster, legte seinen Hut und Stock darauf, zog einen

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