Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
Stuhl heran, drückte Harriet darauf, zog einen zweiten Stuhl heran und setzte sich selbst darauf. Dann sagte er:
»Sie haben gewonnen. Ich bin erstaunt. Ich bin wie vom Donner gerührt. Würden Sie sich freundlicherweise erklären? Ich denke, Sie waren heute mit den Weldons fort.«
»War ich auch.«
»Soll ich das so verstehen, daß Haviland Martin ein Freund von Henry Weldon ist?«
»Haviland Martin ist Henry Weldon.«
»Sie haben sich in der Umarmung Henry Weldons gesuhlt?«
»Nur im Dienste der Gerechtigkeit. Außerdem habe ich ihm eine geklebt.«
»Weiter so. Fangen Sie mal ganz von vorn an.«
Harriet fing von vorn an. Wimsey machte halbwegs gute Miene zu dem Flirt mit Henry Weldon und bemerkte nur einmal zwischendurch, er hoffe, daß der Mann ihr später nicht einmal lästig werde; ansonsten hörte er geduldig zu, bis sie auf den Zwischenfall beim Tellerwaschen kam.
»Ich habe mich gewehrt – ich wollte ja nicht, daß er mich wirklich küßte – und dabei habe ich nach unten geschaut und seinen Arm gesehen – er hatte ihn ja um meine Taille –«
»Ja, das habe ich soweit verstanden.«
»Und da habe ich die tätowierte Schlange auf seinem Arm gesehen – genau die gleiche wie bei Martin. Da ist mir plötzlich eingefallen, wie mir sein Gesicht gleich so bekannt vorgekommen war, als ich ihn zum erstenmal sah – und daraufhin habe ich dann auch begriffen, wer er war.«
»Haben Sie es ihm gesagt?«
»Nein, ich habe nur geschrien, und dann kam Mrs. Weldon und fragte, was los sei. Darauf habe ich gesagt, ich hätte eine Schlange gesehen – es war das einzige, was mir einfiel; und es stimmte natürlich auch.«
»Was hat Henry gesagt?«
»Nichts. Er war ziemlich verstimmt. Er dachte natürlich, ich hätte nur so ein Theater gemacht, weil er mich zu küssen versucht hatte, aber das konnte er ja seiner Mutter nicht sagen.«
»Nein – aber meinen Sie, er hat zwei und zwei zusammengezählt?«
»Ich glaube es nicht. Hoffentlich nicht.«
»Das will ich nicht hoffen – sonst könnte er schon abgehauen sein.«
»Ich weiß. Ich hätte mich an ihn hängen sollen wie eine Klette. Aber ich konnte nicht. Ich konnte es einfach nicht, Peter! Ich hatte ehrlich Angst. Es war dumm von mir, aber ich sah die ganze Zeit Alexis mit durchgeschnittener Kehle vor mir, und das Blut, das überall lief – es war entsetzlich. Der Gedanke, daß – uh!«
»Augenblick. Denken wir einmal scharf nach. Sie sind sicher, daß Sie sich mit der Schlange nicht geirrt haben und Weldon wirklich Martin ist?«
»Ja. Ich bin ganz sicher. Jetzt sehe ich es völlig klar. Im nachhinein fällt mir auf, daß sein Profil dasselbe war, und seine Größe und Figur, und seine Stimme auch. Die Haarfarbe ist natürlich anders, aber die Haare könnte er sich leicht gefärbt haben.«
»Möglich. Im übrigen sieht sein Haar wirklich so aus, als ob es vor kurzem gefärbt und dann wieder gebleicht worden wäre. Ich fand es gleich so merkwürdig stumpf. Also, wenn Weldon Martin ist, muß irgendwo etwas faul sein. Aber schlagen Sie sich gleich aus dem Kopf, daß er der Mörder sein könnte, Harriet. Wir haben nachgewiesen, daß Martin unmöglich den Mord begangen haben kann. Er hätte nicht rechtzeitig am Tatort sein können. Haben Sie das vergessen?«
»Ja – ich glaube, das hatte ich vergessen. Es lag so auf der Hand, daß er irgendwas im Schilde geführt haben muß, wenn er um diese Zeit verkleidet in Darley war.«
»Natürlich führte er etwas im Schilde. Aber was? Er kann nicht an zwei Orten gleichzeitig gewesen sein, nicht einmal als Beelzebub verkleidet.«
»Das ist wohl nicht möglich – nein? Was bin ich doch für ein Dummkopf. Da habe ich die ganze Zeit hier herumgesessen und mir voll Entsetzen ausgemalt, wie wir es Mrs. Weldon beibringen würden.«
»Das werden wir, fürchte ich, so oder so vielleicht noch müssen«, sagte Wimsey ernst. »Es sieht so aus, als ob er die Finger im Spiel gehabt hätte, auch wenn er nicht persönlich die Klinge geführt hat. Die Frage ist nur: Wenn er nicht der eigentliche Mörder war, wozu war er dann überhaupt in Darley?«
»Weiß der Himmel.«
»Mit der braunen Stute hatte es etwas zu tun, das steht fest. Aber was? Welche Rolle spielte das Pferd überhaupt? Mir ist das zu hoch, Harriet. Einfach zu hoch.«
»Mir auch.«
»Nun, dann können wir nur eines tun.«
»Was?«
»Ihn fragen.«
»Fragen?«
»Ja. Wir fragen ihn. Es wäre doch denkbar, daß es eine ganz harmlose Erklärung dafür gibt. Und
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