Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
bei Brennerton hatte sie für die gut vier Meilen Entfernung von den Mahlzähnen bis hier fast drei Stunden gebraucht! Zwar hatte sie alles in allem sechs Meilen oder mehr zurückgelegt, aber sie fand, sie habe doch erschreckend viel Zeit vertan. Nun gut, sie hatte sich alle Mühe gegeben, aber die Umstände waren gegen sie gewesen.
»Hallo!« sagte sie müde.
»Hallo!« antwortete eine amtliche Stimme. »Ist dort die Polizei von Wilvercombe?« »Am Apparat. Wer sind Sie?«
»Ich rufe aus Mr. Hearns Laden in Darley an. Ich möchte Ihnen melden, daß ich heute nachmittag gegen zwei Uhr am Strand in der Nähe der Mahlzähne die Leiche eines Mannes gefunden habe.«
»Oh!« sagte die Stimme. »Einen Augenblick bitte. So. Die Leiche eines Mannes bei den Mahlzähnen. Weiter?«
»Seine Kehle war durchgeschnitten«, sagte Harriet.
»Kehle durchgeschnitten«,’ antwortete die amtliche Stimme. »Weiter?«
»Ich habe auch ein Rasiermesser gefunden«, sagte Harriet.
»Ein Rasiermesser?« Es hörte sich an, als ob ihr Gesprächspartner sich über diese Mitteilung freute. »Wer spricht dort, bitte?« fuhr die amtliche Stimme fort.
»Mein Name ist Vane, Miss Harriet Vane. Ich bin auf einer Wanderung, und da habe ich ihn gefunden. Können Sie jemanden schicken, der mich holt, oder soll ich –?«
»Einen Moment. Name: Vane, V-A-N-E, ja. Gefunden um zwei Uhr, sagen Sie? Das melden Sie uns aber ziemlich spät, finden Sie nicht?«
Harriet erklärte, wie schwierig es gewesen sei, die Polizei überhaupt zu erreichen.
»Aha«, sagte die Stimme. »Also gut, Miss, wir schicken einen Wagen. Bleiben Sie bitte, wo Sie sind, bis wir kommen. Sie werden mit uns fahren und uns die Leiche zeigen müssen.«
»Ich fürchte nur, sie ist inzwischen nicht mehr da«, sagte Harriet. »Sehen Sie, der Tote lag ziemlich nah am Wasser, auf diesem großen Felsen, und die Flut –«
»Das lassen Sie nur unsere Sorge sein, Miss«, entgegnete die Stimme zuversichtlich, als ob der nautische Kalender sich selbstverständlich nach den Wünschen der Polizei zu richten habe. »Der Wagen ist in ungefähr zehn Minuten da.«
Es klickte, dann war es still in der Leitung. Harriet legte auf, dachte kurz nach und griff noch einmal zum Hörer.
»Geben Sie mir Ludgate 6000 – so schnell es geht. Dringendes Pressegespräch. Ich muß es in fünf Minuten haben.«
Die Telefonistin wollte aufbegehren.
»Hören Sie – das ist die Nummer des Morning Star. Ein Blitzgespräch bitte.«
»Na ja«, meinte die Telefonistin zweifelnd. »Ich will mal sehen, was ich tun kann.«
Harriet wartete.
Drei Minuten vergingen – vier – fünf – sechs. Dann schrillte die Klingel. Harriet riß den Hörer von der Gabel.
» Morning Star. «
»Geben Sie mir die Nachrichtenredaktion – schnell.«
Summen, Klicken.
» Morning Star, Nachrichtenredaktion.«
Harriet sammelte sich, um ihre Geschichte so kurz und prägnant wie möglich wiederzugeben.
»Ich spreche aus Darley bei Wilvercombe. Heute nachmittag um zwei Uhr wurde an der Küste die Leiche eines Mannes – haben Sie das? – mit durchgeschnittener Kehle gefunden. Entdeckt wurde der Tote von Miss Harriet Vane, der bekannten Kriminalschriftstellerin … Ja, richtig – die Harriet Vane, die vor zwei Jahren wegen Mordes angeklagt war … Ja … Der Tote scheint etwa zwanzig Jahre alt zu sein – blaue Augen, kurzer dunkler Vollbart, dunkelblauer Gesellschaftsanzug, braune Schuhe, gelbbraune Lederhandschuhe … In der Nähe der Leiche wurde ein Rasiermesser gefunden … Wahrscheinlich Selbstmord … O doch, es könnte auch Mord sein; nennen sie es einfach mysteriöse Umstände … Ja … Miss Vane, die zur Zeit einen Wanderurlaub macht, um Material für ihren neuen Roman Das Geheimnis des Füllfederhalters zu sammeln, mußte erst mehrere Meilen laufen, ehe sie Hilfe herbeiholen konnte … Nein, die Polizei hat die Leiche noch nicht gesehen … Inzwischen ist sie wahrscheinlich auch schon unter Wasser, aber bei Ebbe wird man sie wohl wiederfinden … Ich rufe später noch einmal an … Ja … Wie? … Ach so, ja, hier spricht Miss Vane. Ja … Nein, ich gebe Ihnen das exklusiv … Na ja, ich nehme an, daß die Geschichte bald überall rum ist, aber meinen Bericht gebe ich Ihnen exklusiv … vorausgesetzt natürlich, daß Sie mich gut herausstellen … Ja, selbstverständlich … Aha! Ja, ich denke, daß ich in Wilvercombe bleiben werde … Weiß ich nicht; ich rufe Sie an, wenn ich weiß, wo ich unterkomme … Gut … Ganz
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