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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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erhalten. Und«, fuhr Harriet hoffnungsvoll fort, »das braucht kein Bolschewik zu sein. Es könnte jemand gewesen sein, der ein persönliches Motiv hatte, Alexis um die Ecke zu bringen. Wie wär’s mit diesem Herrn da Soto, der von ihm Leila Garland geerbt hat? Leila könnte ihm irgend etwas Häßliches über Alexis erzählt haben.«
    Wimsey blieb stumm. Seine Gedanken schienen woanders zu sein. Mit einemmal sagte er:
»Ja. Nur wissen wir zufällig, daß da Soto die ganze Zeit im Wintergarten gespielt hat. Aber jetzt möchte ich die Sache gern einmal von einem ganz anderen Standpunkt aus betrachten. Was ist mit diesem Brief? Ist er echt? Er ist auf normalem Papier ohne Wasserzeichen geschrieben, das überall herkommen kann und somit gar nichts beweist, aber wenn er wirklich von einem Herrn namens Boris kommt, wieso ist er dann nicht in russischer Sprache abgefaßt? Das wäre viel sicherer gewesen und außerdem viel wahrscheinlicher, wenn Boris wirklich ein russischer Kaisertreuer wäre. Und dann wieder – dieser ganze Einleitungsquatsch von brutalen Sowjets und ächzendem Volk ist so vage und klischeehaft. Sieht so der Brief eines echten Verschwörers aus, der Nägel mit Köpfen macht? Keine Namen darin; keine Einzelheiten aus dem Vertrag mit Polen; und auf der anderen Seite eine Menge überflüssiger Worte wie ›erlauchte Ahne‹ und ›Seine Durchlaucht‹. Das klingt nicht echt. Es sieht mir nicht nach etwas Ernstem aus. Es kommt mir so vor, als ob da jemand, der nur eine sehr vage Vorstellung vom Ablauf einer Revolution hat, diesem armen Tropf mit seiner Wahnvorstellung von edler Abkunft um den Bart gegangen sei.«
    »Ich will Ihnen sagen, wie es mir vorkommt«, sagte Harriet. »Genau so etwas würde ich in einem Kriminalroman schreiben, wenn ich über Rußland aber auch gar nichts wüßte und es mir außerdem egal wäre und ich nur den allgemeinen Eindruck erwecken wollte, daß da jemand konspiriert.«
    »Eben!« sagte Wimsey. »Sie haben absolut recht. Der Brief könnte direkt aus einem dieser ruritanischen Epen stammen, die Alexis so liebte.«
    »Natürlich – und jetzt wissen wir auch, warum er sie so liebte. Kein Wunder! Sie waren Teil seiner fixen Idee. Das hätten wir uns wahrscheinlich schon denken müssen.«
    »Und noch etwas. Fällt Ihnen auf, wie schludrig die ersten beiden Absätze des Briefes geschrieben sind – als ob es dem Schreiber völlig egal gewesen wäre, ob Alexis sie richtig entzifferte oder nicht. Aber kaum kommt der gute Boris an die eigentlichen Instruktionen, da schreibt er plötzlich wie gestochen, damit es nur ja kein Verlesen und als Folge davon Fehler beim Entschlüsseln gibt. Das SatansBügeleisen schien Boris um einiges wichtiger zu sein als das schmachtende heilige Rußland und das verstimmte Polen.«
    »Kurz, Sie finden, daß der Brief eine Finte war.«
    »Ja. Aber es fällt auch dann schwer, sich völlig sicher zu sein, wer ihn geschickt hat und warum. Wenn Weldon dahintersteckt, wie wir ursprünglich annahmen, bereiten uns immer noch alle diese Alibis Kopfzerbrechen. Wenn es nicht Weldon ist, wer dann? Wenn wir es wirklich mit einer politischen Verschwörung zu tun haben, wer war dann Alexis? Warum hätte ihn jemand loswerden wollen? Es sei denn, er war wirklich eine wichtige Figur, was aber zu glauben schwerfällt. Er kann sich doch selbst nicht eingebildet haben, zum russischen Kaiserhaus zu gehören – sein Alter stimmt hinten und vorn nicht. Ich weiß, daß man immer wieder Geschichten von einem Zarewitsch hört, der die Revolution überlebt haben soll, aber der heißt Alexei Nikolaiwitsch, nicht Pawlo Alexeiwitsch. Und er hätte ein völlig anderes Alter – und außerdem hat es bei ihm nie Zweifel an seiner Abstammung von Nikolaus I. gegeben. In Alexis’ Büchern finden sich wohl nirgends Notizen, aus denen hervorgehen könnte, wer er zu sein glaubte?«
    »Nichts dergleichen.«
    Wimsey sammelte die Papiere vom Tisch ein und erhob sich.
    »Ich werde das Glaisher übergeben«, sagte er. »Damit er etwas zum Nachdenken hat. Ich sehe von Zeit zu Zeit gern andere Leute ein bißchen arbeiten. Ist Ihnen eigentlich klar, daß schon fast Teezeit ist und wir noch nicht zu Mittag gegessen haben?«
    »Bei angenehmem Tun verfliegt die Zeit«, deklamierte Harriet sinnig.
    Wimsey legte seinen Hut und die Papiere wieder auf den Tisch, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich anders, nahm seine Siebensachen wieder in die Hand und marschierte zur Tür.
    »Adieu«,

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