Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde
er wirklich irgendwann einmal in Manchester gewohnt hat und dadurch genau wußte, wieviel er uns über verfallene Straßen und verschwundene Friseursalons in dieser Stadt zum besten geben konnte.«
»Wenn ich richtig verstehe, trägt er also normalerweise einen Bart.«
»O ja. Den hat er nur zu Beginn seiner Wanderschaft abrasiert. Als er dann wieder nach London zurückkam, brauchte er nur unter anderem Namen den falschen Bart in einem Hotel abzuholen, wohin man ihn ihm geschickt hatte, um ihn für die kurze Zeit seiner Taxifahrt nach Kensington zu tragen. Wenn der Toilettenwärter im Lichtpalast zufällig beobachtet hätte, wie einer sich im Waschraum einen falschen Bart anklebte – was er gar nicht unbedingt da gemacht haben muß –, wäre es nicht seine Sache gewesen, sich da einzumischen, und Morecambe hatte schon sein Bestes getan, irgendwelche Beschatter abzuschütteln. Wenn Bunter nicht so ungewöhnlich aufmerksam gewesen wäre und so ungewöhnlich schnell gehandelt hätte, wäre der Mann ihm schon zwanzigmal entwischt. Auch so hätte er Morecambe im Kino fast verloren. Wenn Bunter Morecambe in den Waschraum gefolgt wäre, hätte der das Bartankleben einfach verschoben, und die Jagd wäre von neuem losgegangen, aber indem er so gewitzt war, draußen zu bleiben, hat er Morecambe in dem Glauben gewiegt, die Luft sei rein. Scotland Yard beobachtet jetzt Morecambes Haus, aber man wird vermutlich nur hören, daß der Herr krank zu Bett liegt und von seiner liebenden Gattin gepflegt wird. Sobald der Bart nachgewachsen ist, wird er wieder auftauchen; und Mrs. Morecambe wird als ehemalige Schauspielerin genug von Maskenbildnerei verstehen, um dafür sorgen zu können, daß immer ein Bart zum Vorzeigen da ist, wenn das Mädchen das Zimmer machen kommt.«
»Soviel zu Mr. Morecambe«, sagte Glaisher. »Aber wie steht’s nun mit Weldon? Wir hatten ihn schon ziemlich aus der Sache entlassen, aber jetzt müssen wir ihn wieder hineinbringen. Zwei Tage vor dem Mord kommt er in seinem Morgan hier an und zeltet am Hinks’s Lane, den freundlicherweise schon jemand anders vorher gründlich ausgekundschaftet hat. Mrs. Morecambe, nehme ich an – schön. Seine Gegenwart erklärt er uns mit einem Ammenmärchen – er habe ein Auge auf die Liebesangelegenheiten seiner Mutter werfen müssen. Gut. Aber nun möchte ich wissen, warum er überhaupt hierhergekommen ist und sich in die Geschichte eingemischt hat, was doch ein großes Risiko für ihn war. Er war nicht hier, um den Mord zu begehen, denn wir wissen, wo er um halb zwei war, wenn nicht sogar um fünf vor zwei, und mit den Zeiten kommen wir sowieso nicht zurecht, selbst wenn wir annehmen, daß Perkins ein Lügner ist, was wir nicht beweisen können. Und er war auch nicht hier, um das Pferd zum Bügeleisen zu reiten, denn wir wissen, wo er um zwölf Uhr war.«
»Wissen wir das?« fragte Harriet sanft.
Sie war mitten in der Sitzung hinzugekommen und hatte sich still in einen Sessel gesetzt und eine Zigarette geraucht, ihren Hut auf dem Schoß.
»Ja, wissen wir das?« sagte Wimsey. »Wir glaubten es zu wissen, solange wir Mrs. Morecambe für eine einwandfreie Zeugin hielten, aber wissen wir es jetzt immer noch? Ich glaube, ein Glitzern in Miss Vanes Augen zu sehen, dem zu entnehmen ist, daß sie uns gleich eines Besseren belehren wird. Sprechen Sie! Ich muß es hören. Was hat Robert Templeton entdeckt?«
»Mr. Weldon«, sagte Harriet, »hat am Donnerstag, dem achtzehnten, nichts Ruchloses in Wilvercombe getan. Er hat in Wilvercombe überhaupt nichts getan. Er war gar nicht in Wilvercombe. Er hat keine Kragen gekauft. Er war nicht im Wintergarten. Mrs. Morecambe ist dort allein angekommen und allein wieder abgefahren, und es gibt keinen Hinweis darauf, daß Mr. Weldon an irgendeinem Punkt ihrer Reise bei ihr war.«
»O, mein prophetisches Gemüt! Dahin ist mein Ruhm! Ich habe gesagt, das Zwei-Uhr-Alibi wird sich als brüchig erweisen, und es steht wie ein Fels. Ich habe gesagt, das Wilvercombe-Alibi wird standhalten, und es liegt in Scherben da wie ein Tonkrug. Mit Ihnen gehe ich nie wieder auf Verbrecherjagd, meine Holde. Fahr wohl, des Herzens Ruh! Fahr wohl, mein Friede. Othellos Tagwerk ist getan. Sind Sie sicher?«
»Ziemlich. Ich bin in das Geschäft gegangen und habe nach solchen Kragen gefragt, wie mein Mann sie am achtzehnten gekauft hat. Ob ich die Rechnung noch hätte? Nein. Was für Kragen? Nun, Kragen eben, ganz gewöhnliche Kragen. Wie mein Mann denn aussehe? Ich
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