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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Makel zu befreien.«
    Harriet hatte ihn nur ärgern wollen. Henry war alles andere als eine Schönheit, wenngleich er ein gesundes, kräftiges Exemplar seiner Gattung darstellte. Er war etwa einsachtzig groß, schwer gebaut, mit ziegelrotem Allwettergesicht. Der Smoking stand ihm nicht, weil die breiten Schultern und kurzen Beine ihn etwas oberlastig wirken ließen; wahrscheinlich sah er in einem Tweedanzug mit Gamaschen noch am besten aus. Sein ziemlich grobes, stumpfes Haar war mausbraun und ließ erahnen, wie die Haare seiner Mutter einmal ausgesehen haben mochten, bevor sie zum erstenmal mit Wasserstoffsuperoxyd in Berührung kamen. Eigentlich war er auf merkwürdige Weise seiner Mutter ganz ähnlich; er hatte die gleiche flache, schmale Stirn und das gleiche lange, trotzige Kinn. Allerdings erzeugte dies bei seiner Mutter eher den Eindruck eines schwachen, verträumten Eigensinns, beim Sohn dagegen den einer sturen, phantasielosen Bockigkeit. Wimsey hatte vom Äußerlichen her nicht das Gefühl, daß dieser Mann einen Paul Alexis willig als Stiefvater akzeptiert hätte; gewiß hatte er gar nichts übrig für die sterile Romanze einer Frau, die über das Gebäralter hinaus war. Wimsey, der ihn mit weltmännisch erfahrenem Blick abschätzte, stufte ihn als einen Gentleman-Landwirt ein, der nicht ganz ein Gentleman und kein besonderer Landwirt war.
    Im Augenblick schienen Henry Weldon und seine Mutter sich aber trotz allem hervorragend zu verstehen.
    »Henry ist so glücklich«, sagte Mrs. Weldon, »daß Sie hier sind und uns helfen wollen, Lord Peter. Dieser Polizist ist ja so dumm. Er scheint kein Wort von allem zu glauben, was ich ihm sage. Natürlich ist er ein sehr wohlmeinender, ehrlicher Mann und überaus höflich, aber wie könnte so einer schließlich einen Menschen wie Paul verstehen? Ich habe Paul gekannt, und Henry hat ihn gekannt, nicht wahr, Henry?«
    »O ja«, sagte Henry, »natürlich. Sehr netter Kerl.«
    »Henry weiß, wie uneingeschränkt Paul an mir hing. Du weißt doch, nicht wahr, Henry, daß er sich nie das Leben genommen hätte und so von mir gegangen wäre, ohne ein Wort zu sagen. Es tut mir weh, wenn die Leute so etwas sagen – ich glaube, ich könnte –«
    »Nun, Mutter, es ist ja schon gut«, murmelte Henry, dem der Gedanke an einen Gefühlsausbruch, womöglich einen Zusammenbruch in aller Öffentlichkeit offenbar peinlich war. »Du mußt versuchen, damit zu leben. Wir wissen natürlich alle, daß Alexis ein ordentlicher Kerl war. Er hat dich sehr gern gehabt, aber ja doch, natürlich. Die Polizei ist immer so dumm. Mach dir da nichts draus.«
    »Nein, mein Junge, entschuldige«, sagte Mrs. Weldon und tupfte sich mit einem Taschentüchlein kleinlaut die Augen ab. »Es war so ein Schock für mich. Aber ich darf jetzt nicht schwach sein und mich albern aufführen. Wir müssen alle tapfer sein und arbeiten und etwas dagegen tun. «
    Wimsey meinte, daß ihnen allen eine kleine Stärkung guttun würde. Henry und er könnten ja mal der Bar einen männlichen Besuch abstatten und auf dem Weg dorthin dem Kellner auftragen, sich der Damen anzunehmen. Er fand, er könne Henry in einem Gespräch unter vier Augen wahrscheinlich besser sezieren.
    Als die beiden Männerrücken in Richtung Bar entschwanden, richtete Mrs. Weldon ihren kummervollen Blick auf Harriet.
    »Wie nett dieser Lord Peter ist«, meinte sie, »und welch ein Glück für uns, daß wir beide einen Mann haben, auf den wir uns stützen können.«
    Diese Bemerkung kam gar nicht gut an; Harriet wandte den Blick von Lord Peters Rücken, auf dem er aus unerklärlichen Gründen geruht hatte, und runzelte die Stirn; aber Mrs. Weldon tönte unbeirrt weiter.
    »Es ist schön, wie lieb alle zu einem sind, wenn man Kummer hat. Henry und ich sind uns nicht immer so nahegestanden, wie Mutter und Sohn einander nahestehen sollten. Er schlägt in mancher Hinsicht ganz nach seinem Vater, obwohl die Leute sagen, daß er mir ähnlich sieht, und als kleiner Junge hatte er die allerliebsten blonden Locken – ganz wie meine. Aber er liebt Bewegung und frische Luft – das sieht man ihm ja an, nicht wahr? Immer ist er draußen und kümmert sich um seinen Hof, und dadurch sieht er auch etwas älter aus, als er eigentlich ist. In Wirklichkeit ist er noch ein ganz junger Mann – ich war doch noch ein Kind, als ich heiratete, wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe. Aber obwohl wir uns, wie gesagt, nicht immer so gut verstanden haben, wie man wünschen

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