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Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Titel: Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers & Jill Paton Walsh
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ein Rhombus von doppelter Helligkeit, um gleich wieder zu verschwinden. Wie nackt und verletzlich sich doch London darbot – man konnte fast denken, der Mond sei als Verräter mit dem Feind im Bunde. Harriet war schwindelig, und sie begriff, dass der Hunger die Ursache war. Wenn es nicht anders ging, musste sie die Haferflocken eben trocken essen oder mit Wasser und ungekocht, aber essen musste sie etwas. Als sie sich auf den Weg nach unten machen wollte, sah sie jenseits des Gartens in einem der Fenster der ausgebauten Stallungen ein Licht – da war jemand!
    Sie zögerte keine Sekunde. Im Nu hatte sie den Schlüssel zum Cottage vom Haken hinter der Gartentür geholt, die drei Riegel zurückgeschoben; schnell und leise lief sie durch den Garten, unter dem Apfelbaum hindurch, der im papiernen Licht wie ein japanischer Druck aussah, und öffnete die Tür des anderen Hauses. Die Treppe, die zum Wohnzimmer hinaufführte, lag im Dunkeln, aber unter der Tür zu ihrer Rechten, zwischen Flur und Küche, sah sie Licht. Sie horchte in die absolute Stille. Ganz vorsichtig machte sie die Tür auf. Was hatte sie erwartet? Plünderer? Hausbesetzer? Auf jeden Fall nicht das, was sie im Schein dreier Kerzen auf dem Tisch sah. Es war Bunter, vornüber zusammengesunken in einem Küchenstuhl, den Kopf auf den Armen. Bunter tief schlafend. Tief schlafend, in schmutzigen Kleidern und mit einem Dreitagebart.
    Ihr Erstaunen hätte nicht größer sein können, wenn sie den Erzengel Gabriel in Zivil zu Gesicht bekommen hätte. Ihre Freude hätte nicht größer sein können, wenn sie die Taube mit dem Ölzweig zur Arche hätte zurückkehren sehen. Obwohl sie keinen Laut von sich gab, weckte ihn plötzlich ein sechster Sinn: Er sprang auf, wich in die Ecke zurück und richtete einen Revolver auf sie. «Bunter, ich bin es!», rief sie.
    «Mylady?» Er blinzelte sie im schwachen Licht an, als wäre ihre Erscheinung ebenso gespenstisch wie seine für sie.
    «Wo ist Peter?», fragte sie ihn mit klopfendem Herzen. «Ich weiß es nicht, Mylady. Wir mussten getrennte Wege gehen. Ich hoffte …» Er brach den angefange nen Satz ab. Seine Füße trugen ihn kaum. Sie ahnte nur zu gut, wie der Satz weiterging, aber hier war ein Notfall.
    Mit einem Gespür dafür gesegnet, wann sich ein Spieß umdrehen ließ, übernahm Harriet das Kommando. Dies war wohl die einzige Gelegenheit, wo die Chancen, alles im Griff zu haben, geringfügig besser für sie standen als für ihn.
    «Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?», fragte sie. «Ich weiß nicht genau», antwortete er. «In Holland, glaube ich.»
    «Schaffen Sie es die Treppe hoch?»
    «Ich denke schon, Mylady.»
    «Dann rauf mit Ihnen, und ziehen Sie die Sachen aus. Ich bringe Ihnen heißes Wasser und treibe etwas zu essen auf.» Er zögerte. Auch ihm, so erschöpft und desorientiert er war, entging offenbar nicht, dass die natürliche Ordnung der Dinge sich umgekehrt hatte. «Das ist ein Befehl, Bunter», sagte sie mit fester Stimme, und er setzte sich in Marsch.
    Gott sei Dank hatten sie hier eine vernünftige Küche einbauen lassen. Harriet fand den Gashahn, drehte ihn auf und stellte alle Flammen an dem modernen, emaillierten Herd an. Sie drehte den Hauptwasserhahn unter der Spüle auf, ließ die drei größten Töpfe voll laufen, die sie finden konnte, und stellte sie aufs Feuer. Nur die Elektrizität funktionierte nicht. Entweder war die Zufuhr unterbrochen, oder die Sicherungen waren hinüber. Mit einer Kerze bewaffnet, holte sie die Haferflocken und den Sirup aus der Küche im Haupthaus und bereitete dann einen Topf Porridge zu. Um gegen ihr Schwindelgefühl anzuge hen, aß sie schnell drei Löffel davon. Der Brei schmeckte unglaublich fade. Dann füllte sie einen Waschkrug mit dem heißen Wasser, nahm eine der Kerzen und machte sich auf die Suche nach dem vorgesehenen Nutznießer.
    Bunter war nicht weit gekommen. Er hatte einige saubere Sachen auf das Bett herausgelegt, seinen schmutzigen Mantel ausgezogen und war dann im Schlafzimmerstuhl wieder eingeschlafen. Unter dem Mantel trug er eine von Motoröl geschwärzte Latzhose, als hätte er sich als Mechaniker getarnt. Harriet betrachtete ihn. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, verursachte er seiner Umgebung Unannehmlichkeiten. Eine tief verwurzelte Zurückhaltung und der gebotene Respekt hemmten sie. Dann überwogen gesunder Menschenverstand und Fürsorge. Sie zerrte ihn am Latz seiner Hose auf die Füße und half ihm, sich auszuziehen.

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