Wind der Gezeiten - Roman
wolltet. «
» Ich danke Euch, dass Ihr mich herbegleitet habt, Mister Creed. «
» Nicht doch. Es liegt ja auf meinem Weg. Nur ein paar Schritte noch, dann bin ich ebenfalls da. Falls Ihr noch einmal meine Hilfe benötigt– scheut Euch nicht, nach mir zu fragen! Ich werde für mindestens zwei Wochen in der Stadt sein. Fragt in der Drury Lane einfach nach der Witwe Mathilda Creed, dort könnt Ihr mich finden. «
Anne hatte auf einmal das Bedürfnis zu lächeln.
» Danke sehr, Mister Creed. Falls Ihr je in die Karibik kommt, vorzugsweise auf die Insel Barbados– zögert nicht, mir Eure Aufwartung zu machen. Ihr seid von Herzen eingeladen, dort auf Summer Hill unser Gast zu sein. «
» Oh « , sagte Mister Creed erstaunt. » Aber Ihr sagtet doch… Soll das heißen… Wollt Ihr denn gar nicht hier in Eurer alten Heimat wohnen bleiben? «
Anne starrte ihn an, dann dämmerte ihr, was seine Worte bedeuteten.
» So ist es « , platzte sie heraus. » Ich will nicht hierbleiben. Ich will… nach Hause. « Sie lauschte ihren eigenen Worten nach, und während sie mit halbem Ohr Mister Creed zuhörte, der sich mit ausschweifender Höflichkeit von ihr verabschiedete und sie seiner immerwährenden Freundschaft versicherte, stieg eine schmerzliche Sehnsucht in ihr auf. Sie hatte alles hinter sich gelassen, was ihr je teuer gewesen war. Ihren Bruder, den sie so innig liebte, dass es ihr mit einem Mal das Herz zerriss, wenn sie daran dachte, wie allein er sich jetzt fühlen musste. Die Insel, auf der sie aufgewachsen war, mit dem palmengesäumten Meer, der wärmenden Sonne, den duftenden, raschelnden Pflanzen. Jäh begriff sie, dass sie um die halbe Welt gefahren war, nur um zu erkennen, wo sie wirklich zu Hause war.
Sie winkte Mister Creed nach, der sich immer wieder zu ihr umdrehte, als wollte er sich vergewissern, dass alles mit ihr in Ordnung war.
Schließlich ging sie zu dem Haus und betätigte den Türklopfer. Die Sorge um Duncan, um dessentwillen sie hier war, gewann wieder die Oberhand.
Zu ihrem Erstaunen wurde sofort geöffnet, kaum dass sie den schweren metallenen Löwenkopf ein einziges Mal gegen das Holz geschlagen hatte. Wie aus dem Boden gewachsen stand ein Mann vor ihr, mittelgroß und von athletischer Gestalt. Er mochte Ende dreißig sein und hatte angenehme, klare Gesichtszüge. Gekleidet war er in eine braune Uniform mit roter Schärpe. Überraschung über ihr unverhofftes Erscheinen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Offenbar hatte er gerade das Haus verlassen wollen.
» Admiral Ayscue? « , fragte sie ein wenig verlegen.
» Ganz recht. Was ist Euer Begehr, Madam? « Er musterte sie mit abwartender Höflichkeit von oben bis unten, und sie widerstand dem Drang, an sich herabzusehen, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung war oder ob ihr Gewand vielleicht doch von der Brühe des Seifensieders Flecken davongetragen hatte.
» Mein Name ist Anne Noringham. Ich hatte Euch geschrieben. Bitte verzeiht, dass ich so mit der Tür ins Haus falle, aber mir liegt das Schicksal von Duncan Haynes sehr am Herzen. «
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er verbeugte sich formvollendet und öffnete weit die Tür.
» Kommt bitte herein, Mylady. «
» Ihr wart im Aufbruch begriffen, Sir. Ich wollte Euch nicht aufhalten. «
» Eine kleine Weile habe ich noch Zeit. « Er lachte kurz und ein wenig unfroh. » Der Krieg wird gewiss auch ohne mich weitergehen. «
Er geleitete sie in einen holzgetäfelten Raum, der zugleich als Empfangs- und als Arbeitszimmer diente. Mit dem von Papieren, Seekarten und Büchern überquellenden Schreibtisch erinnerte der Raum Anne an Duncans Kapitänskajüte auf der Elise. Hier gab es jedoch anstelle einer Holzbank ein gepolstertes Sofa und zwei Lehnstühle. Auf Bitten von Ayscue nahm Anne auf dem Sofa Platz, während er selbst nach dem Dienstmädchen rief und es aufforderte, Tee und Gebäck zu bringen. Anschließend ließ er sich auf einem Lehnstuhl nieder und eröffnete ohne Umschweife das Gespräch. Er schien zu spüren, wie sehr sie darauf brannte, alles über Duncans Schicksal zu erfahren. Ihr entging nicht, dass er ihr bei seinen Schilderungen schlimme Einzelheiten vorenthielt, um ihre Nerven zu schonen, doch das, was er ihr berichtete, war schrecklich genug. Sie hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
» Ihr habt ihm das Leben gerettet! « , sagte sie bewegt, als er geendet hatte.
» Nein, nicht ich. Ihr tatet es. « Sein Blick drückte Respekt aus. » Und das, wenn ich
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