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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Händen weggestorben. William war noch draußen bei den Quartieren und sorgte dafür, dass der Leichnam für die Bestattung vorbereitet wurde. Der Schwarze war jung gewesen, kaum zwanzig. Er war mit der Hand in die Walze geraten, und bis der Aufseher die Zugtiere zum Stehen gebracht hatte, war dem Jungen schon der halbe Arm zerquetscht worden. Sie hatten ihn über dem Ellbogen amputieren müssen, während er noch drinsteckte. Anne und Celia waren im Eiltempo zur Mühle gerannt und hatten alles versucht, um ihn zu retten, doch er hatte zu viel Blut verloren. Irgendwann hatte er seinen letzten Atemzug getan.
    » Ich hätte bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen « , sagte William zu Celia, als er nach einer Weile mit versteinerter Miene und blutbesudelt von den Arbeiterhütten zurückkam.
    » Du hast ihnen allen oft genug gesagt, dass sie mit ihren Fingern nicht in die Nähe der Walzen kommen sollen. « Celia ging mit ihm in den Innenhof und reichte ihm einen Kübel mit frischem Wasser.
    » Der Junge war neu und konnte kein Englisch. Woher hätte er wissen sollen, wie das Walzwerk funktioniert? Es ist allein meine Schuld, dass das passiert ist. « William zerrte sich mit zornigen Bewegungen das Hemd vom Leib und wusch sich. Sein Oberkörper war sehnig und muskulös, und Celia ärgerte sich über sich selbst, weil ihr Herz bei dem Anblick schneller schlug.
    » Du musst aufhören, dich ständig für alles und jeden verantwortlich zu fühlen « , sagte sie schärfer als beabsichtigt.
    Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts, sondern spritzte sich Wasser ins Gesicht und fuhr sich mit den nassen Händen durchs Haar. Sein Zopf löste sich, und die Strähnen ringelten sich über seine Schultern. Celia beobachtete es mit trockenem Mund. Seit sie ihn duzte, hatte sich etwas zwischen ihnen verändert. Sie fühlte sich ihm näher denn je. Dennoch hatte sie noch nicht gewagt, ihn beim Vornamen zu nennen. Es war, als bewegte sie sich ständig entlang einer Grenze zum Verbotenen.
    » Das Mittagessen ist fertig « , sagte sie. » Ich kann dir gleich was bringen. «
    » Ich habe keinen Hunger. «
    » Aber du solltest… «
    » Celia « , fiel er ihr barsch ins Wort. » Könntest du vielleicht ein einziges Mal aufhören, mich zu bevormunden? «
    » Wenn du es so wünschst « , sagte sie tonlos.
    » Ehrlich, du bist schlimmer als meine Mutter und meine Schwester zusammen. Wo ist Anne überhaupt? «
    » Sie hat sich hingelegt. Soll ich dir ein frisches Hemd holen? «
    Er starrte sie mit verengten Augen an. Sie verzog in einer Aufwallung von Wut das Gesicht.
    » Schon gut, William. Ich hab dich verstanden. Keine Bevormundung mehr. Ich vergesse immer wieder, dass du Frauen bevorzugst, denen du helfen kannst. Du kannst dir selbst ein sauberes Hemd holen. Und dein verdammtes Mittagessen auch. « Sie wandte sich ab, hob sein blutiges Hemd vom Boden auf und marschierte spornstreichs zum Waschhaus, wo sie auch gleich ihren eigenen Kittel auszog und ihn mit den übrigen Sachen ins Laugenfass steckte. Nackt beugte sie sich über den Kübel und rührte mit dem langen Holzstab in der trüben, nach Seife riechenden Brühe.
    Als sie das Geräusch hinter sich hörte, fuhr sie herum. William stand dort, die Gestalt im hellen Rechteck der offenen Tür scharf umrissen wie auf einem Scherenschnitt. Wegen des Gegenlichts konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. In einem ersten Impuls wollte sie ein Wäschestück von der hinter ihr verspannten Leine ziehen und sich damit bedecken. Doch dann tat sie nichts dergleichen, sondern straffte sich trotzig. Mit zurückgeworfenem Kopf stand sie da, nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, und bot sich seinen Blicken dar. Als er näher kam, fing ihr Herz an zu hämmern. Sie verfluchte sich für die Schwäche in ihren Kniekehlen und hätte sich gern irgendwo festgehalten. Wenn sie ihn nur nicht so sehr gewollt hätte! Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich etwas so sehr gewünscht wie seine Berührung. Wie oft hatten ihre Hände gezuckt vor dem Bedürfnis, ihn anzufassen, die Hand in seinen Nacken zu legen, in sein Haar zu fahren– und zwar dann, wenn sie es wollte, weil ihr danach war, und nicht, um ihm den Bart zu scheren. Sie tat es jeden Tag, immer nach dem Frühstück, wenn sie zu ihm in sein Zimmer ging, um ihn zu rasieren. Er saß dann auf dem Schemel, das Gesicht emporgewandt und die Augen geschlossen, während sie mit dem frisch geschärften Rasiermesser hinter ihm stand, sein Kinn anhob und mit sanften

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