Wind der Traumzeit (German Edition)
besuchen, weil … «, sie zögerte kurz, »weil ich ihr vielleicht nicht so richtig als Schwiegertochter zusage.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Du weißt schon: Ich war schon mal verheiratet und hab zwei Kinder aus erster Ehe. Obendrein bin ich keine Australierin und so weiter.«
Tom schüttelte den Kopf. »Nora, du denkst völlig falsch von meiner Mutter. Wenn du meinst, sie sei dir gegenüber zurückhaltend gewesen, dann einzig und allein, weil sie Angst vor der vermeintlichen Sprachbarriere hatte, weil Sophie praktisch nur deutsch sprach, Marie ja sowieso. Mach einen Schritt auf sie zu, und du wirst sehen, wie sehr sie sich freut.«
Nora schaute noch immer zweifelnd. »Warum lebt sie denn überhaupt so weit von ihren Kindern entfernt? Vielleicht möchte sie doch lieber ihre Ruhe haben.«
Tom war sehr ernst geworden. Sekundenlang sah er vor sich hin, ehe er Nora wieder anschaute. »Mein Vater und sie waren das ideale Paar. Sie liebten sich sehr und haben ihr ganzes Leben gemeinsam in Perth verbracht. Genau genommen haben wir Kinder – Caroline und ich — sie dort gelassen, ganz allein in Perth. Wir haben unseren eigenen Weg gesucht und gefunden, ich hier beim Flying Doctor Service in Cameron Downs, Caroline als Mutter und Zahnärztin in Darwin. Beide haben wir Mum zu überzeugen versucht, in unsere Nähe zu ziehen, aber sie fühlte sich meinem Vater auch nach dessen Tod verbunden, und sie wollte niemandem zur Last fallen. Ruf sie an, Nora.« Nora schwieg einen Moment. Sie war verlegen.
Tom drückte ihre Hand. »Natürlich könnte ich das tun. Sie anrufen und zu uns einladen oder sie auch direkt um Hilfe bitten. Ich denke aber, sie würde sich mehr freuen – und sich auch mehr eingeladen fühlen —,wenn du sie fragen würdest.« Nora nickte vorsichtig. »Du hast Recht. Ich … ich war nur so zögerlich, weil ich mich immer noch wegen Niklas und auch wegen Max schuldig fühle. Wenn mich schon meine eigenen Eltern nicht verstanden haben, wie kann ich dann von anderen erwarten, mich zu verstehen und zu mögen?«
Tom legte einen Arm um sie und zog sie an sich. »Gib ihnen doch einfach eine Chance, Nora.«
43
C atherine Morrison traf an einem heißen Frühsommertag im November in Cameron Downs ein. Sie hatte sich tatsächlich sehr über Noras Anruf gefreut und sah der Zeit, die sie mit ihren Enkelkindern würde verbringen können, mit Spannung und Aufregung entgegen. Noras Ehrlichkeit hatte sie beeindruckt. Sie war nicht nur auf einen Besuch eingeladen, sondern auch um Hilfe gebeten worden.
Catherine war eine praktisch veranlagte und erfahrene Frau. Es hatte sie nicht viel Mühe gekostet, sich vorzustellen, wie viel Arbeit und wie wenig Zeit Nora mit den beiden kleinen Kindern und Marie hatte. Auch gehörte sie nicht zu den Frauen der älteren Generation, die stets dachten: Na und? Da mussten wir doch früher auch durch. Wir hatten auch für nichts anderes mehr Zeit. Die Familie geht schließlich vor. Sie verstand nichts besser als Noras Wunsch, an Toms Leben teilhaben und Australien besser kennen lernen zu wollen. Und wenn sie so fasziniert von der Kultur der Aborigines war, warum sollte sie nicht auf ihre innere Stimme hören und dieses Traumzeit-Geschichten-Projekt in Angriff nehmen? Jeder Mensch brauchte schließlich Träume. Und wenn Noras Traum erfolgreich wäre, würde er nebenbei auch noch Gutes bewirken. Dass ihre Schwiegertochter eine gute Mutter war, hatte sie schon bei dem Besuch der jungen Familie in Perth sehen können. Man hatte sie nur mit Marie und Sophie zu beobachten brauchen, um zu erkennen, wie tief die Bindung zwischen Mutter und Töchtern ging. Darüber hinaus war ihr aufgefallen, wie glücklich Tom ausgesehen hatte. Noch nie zuvor hatten seine Augen so geleuchtet wie damals beim Zusammensein mit seiner Frau und den beiden niedlichen Mädchen. Nun würde sie auch das Baby zum ersten Mal in natura sehen. Voller Vorfreude kletterte sie aus der kleinen Maschine, die sie nach Cameron Downs gebracht hatte. Die Sonne schien gleißend hell, sodass sie ihre Augen mit einer Hand beschirmte und sich suchend umsah.
Nora stand mit den Mädchen und dem Baby hinter dem Zaun und winkte. »Hier sind wir! Hallo, Catherine!«
Sie winkte zurück und wartete auf ihre Reisetasche. Dann verließ sie rasch den kleinen Flugplatz, um zu ihnen zu gelangen. Gleich darauf stellte sie ihre Tasche ab und streckte Nora die Arme entgegen. »Ich freue mich schrecklich, euch wiederzusehen.«
»Catherine,
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