Wind Der Zeiten
grinste mich an und kippte blitzschnell die verbliebene Flüssigkeit in ihren zahnlosen Mund. Dabei verdrehte sie sich so sehr, dass ich dachte, der dünne Hals würde gleich abbrechen. Langsam schlurfte sie anschließend zu James und Duncan, die wie Alan nur an ihrem Drink genippt hatten. Die Alte leerte deren Quaichs ebenfalls, kicherte und verschwand in einem schmalen Durchgang. Vermutlich genehmigte sie sich dort einen weiteren Schluck.
Der Hausherr schien davon nichts mitbekommen zu haben. Seine Aufmerksamkeit galt Alan. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«
»Ich bin gekommen, weil man mir von Überfällen auf MacCoinnaich-Pächter an der Grenze zu Fearna berichtet hat. Was weißt du darüber?«
»Nichts, davon weiß ich gar nichts. Habe ich nicht im November, wie jedes Jahr, meinen Treueeid geleistet? Ich war immer loyal, MacCoinnaich.« Das nervöse Zucken in seinem Augenwinkel erzählte etwas anderes.
Alan tat, als habe er nichts bemerkt. »Das habe ich auch nicht bezweifelt«, versicherte er. »Doch diese Angriffe auf meine Leute kann ich nicht einfach so hinnehmen.« Er machte einen Schritt nach vorn.
MacDonnell sackte regelrecht in sich zusammen. »Ich bin nicht schuld«, jammerte er.
Tatsächlich hatte ich selten zuvor jemanden gesehen, der schuldbewusster wirkte als dieser Mann.
Gespannt wartete ich auf seine Ausrede, und da kam sie
schon: »Ich habe niemanden ausgeschickt, um die Hütten deiner Pächter niederzubrennen.« Jetzt bemühte er sich um ein vertrauliches Lächeln, und weil sich meine Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass von seiner oberen Zahnreihe nur ein Eckzahn und zwei verfaulte Stümpfe übrig geblieben waren. »Du weißt doch selbst, wie das ist, die eigene Verwandtschaft hat heutzutage keinen Respekt mehr und tut, was ihr gefällt.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, MacDonnell …« Bevor Alan seinen Satz beenden konnte, tauchte plötzlich ein hochgewachsener Mann in militärischer Kleidung in dem schmalen Durchgang auf, durch den Mairie verschwunden war. Er sah aus, als hätte er sich hastig angekleidet, die Haare hingen ihm ungepflegt ins Gesicht. Hinterher kamen noch zwei Männer in Uniform und bauten sich rechts und links des MacDonnell-Chiefs auf. Diese beiden trugen sogar einen eisernen Brustpanzer.
Das also waren die gefürchteten Rotröcke?
Als der erste Mann seinen Mund aufmachte, hatte ich meine Antwort. Er sprach Englisch und bemühte sich vergeblich seinen Cockney-, oder was auch immer Akzent durch eine betont näselnde Aussprache zu verbergen. »Was geht hier vor?«
Arrogant baute er sich vor Alan auf, und ich sah, wie James’ Hand langsam unter die Jacke glitt. Dorthin, wo er – wie alle anderen auch – seinen Dolch verborgen hielt. Der Soldat tippte Alan mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Brust. »Du, was willst du von deinem Chief?«
Pferdegesicht schnappte nach Luft: »Hawker, das ist …«
»Halt den Mund!« Der Soldat drehte sich nicht einmal nach MacDonnell um. »Red schon, Bauernlümmel!«
Ich hätte wetten können, dass Alan in die Luft gehen würde.
Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit diesem feinen Lächeln. »Mein Name ist Alan MacCoinnaich aus Gleann Grianach, Chief der MacCoinnaichs. Und Ihr seid«, er zögerte kurz und warf einen Blick auf die ungepflegte Uniform seines Gegenübers, »Corporal Hawker?«
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Alan hatte in seinem besten Englisch geantwortet, sein schottischer Akzent war praktisch nicht zu hören, und für mich klang er wie ein Vertreter des britischen Hochadels. Zu dem er ja tatsächlich auch gehörte.
Wie erwartet, war der Engländer überrascht und lief langsam rot an, bis ich schon dachte, er bekäme einen Herzanfall. Hawker schnappte nach Luft, und es dauerte einen Moment, bis er sich wieder fing. »Sergeant«, stieß er hervor. »Sergeant Hawker. Wie soll man wissen, dass die Gentlemen hier so herumlaufen.« Er wies auf unsere bloßen Füße und ließ dann den Blick langsam über Alans gegürtetes Plaid und sein längst nicht mehr sauberes Leinenhemd bis zu dem Dreitagebart hinaufgleiten.
Alans Blick hielt er allerdings nur wenige Sekunden stand. Schnell sah er zur Seite und entdeckte mich. »Und dass sie mit Frauen und Kindern auf die Jagd nach ihren Feinden gehen, das ist mir auch neu.« Er lachte und drehte sich Beifall heischend zu seinen Soldaten um. »Sicher eine dieser Sitten, von denen ein anständiger Untertan
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