Wind des Südens
nicht das Geld genommen und war geflohen, solange das noch möglich gewesen war? Denn nun war es zu spät.
»Weil ich gerne in dieser Stadt wohne, hier Leute kenne und rasch wieder ein normales Leben hätte führen können. Mit dem Baby. Weil ich zu große Angst hatte und zu feige war, um davonzulaufen, um in der Fremde allein zu sein«, antwortete sie sich im Stillen.
Da Emilie hoffte, dass noch eine Chance auf eine Einigung bestand – denn schließlich war er beim Essen nett zu ihr gewesen –, verhielt sie sich trotz Nellies Stirnrunzeln so höflich wie möglich. Tief in ihrem Herzen jedoch wusste sie, dass es hoffnungslos war. Und während sie befürchtete, dass er womöglich über Nacht bleiben würde, plauderte er über die neue Kopfsteuer von zehn Pfund für chinesische Einwanderer und den Sieg der Kolonisten gegen die englische Mannschaft beim letzten Cricket-Heimspiel und Nellies hervorragendes Irish Stew.
»Ich weiß, dass du noch wütend auf mich bist, Emilie«, meinte er später. »Obwohl du gute Miene zum bösen Spiel machst. Deshalb werde ich im Gästezimmer schlafen. Falls du nicht lieber …«
»Nein«, sagte sie rasch. »Besser nicht.«
»Also gut.« Er zuckte die Achseln. »Zerbrich dir nicht weiter dein hübsches Köpfchen. Ich werde mich wie ein mustergültiger Ehemann benehmen, du wirst schon sehen. Alles wird gut, Em. Wir machen einen wundervollen Neuanfang.«
In jener Nacht wünschte Emilie, sie hätte die Schlafzimmertür abschließen können. Doch zu ihrem Erstaunen verzichtete Clive darauf, sie zu belästigen. Er stand früh auf, reparierte das Scharnier an der Seitentür und machte sich auf die Suche nach Farbe, um den Zaun am Vorgarten für die Kaufinteressenten »ein bisschen zu verschönern«.
Beim Frühstück sprühte er vor Begeisterung. »Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, Em, sondern müssen sofort mit dem Packen anfangen. Wenigstens hast du einen Teil meiner Sachen schon losgeschickt«, fügte er ohne einen Funken Zorn hinzu. »Das spart uns Zeit.«
»Clive«, widersprach sie. »Wie ich dir schon gesagt habe: Ich komme nicht mit.«
»Natürlich kommst du mit. Du kannst doch nicht ewig schmollen, Em. Wir haben eine wunderschöne Reise vor uns. Das wird wie ein Urlaub, und Cairns gefällt dir sicher. Also Kopf hoch. Wenn du deinen Kaffee ausgetrunken hast, soll Nellie das Wohnzimmer zusammenpacken. Die Familienporträts müssen abgehängt werden. Und alle Leisten an den Wänden. Die lassen wir nicht hier.«
Das Haus wurde verkauft, und die Hilliers verabschiedeten sich von ihren Freunden. Mrs. Mooney, die Besitzerin des Hotels Prince of Wales, veranstaltete eine Überraschungsparty für sie, auf der sich alle großartig amüsierten. Während der Feier nahm Mrs. Mooney Emilie beseite.
»Verzeih mir meine Neugier, aber wir sind ja alte Freundinnen, und ich habe dich sehr gern, Missy«, begann Mrs. Mooney und benutzte dabei den Spitznamen, den Emilie von Mr. Manningtree hatte. »Hast du nicht gesagt, du würdest nicht nach Cairns ziehen? Oder habe ich mir das nur eingebildet?«
Emilie war das alles sehr peinlich. »Ich habe mir überlegt, ob ich hier bleiben soll. Ich möchte eigentlich nicht aus Maryborough fort, aber anders geht es nicht. Cairns ist zu weit weg.«
»Mehr steckt also nicht dahinter?«, hakte Mrs. Mooney nach. »Hast du wirklich keine Angst, die falsche Entscheidung zu treffen?«
»O nein«, seufzte Emilie. »Ich bin nur sehr traurig, sonst nichts.«
»Du weißt ja, dass du immer zurückkommen kannst. Ich habe oben genug Platz.«
»Schon gut.« Emilie küsste sie auf die Wange und floh zurück an den Tisch, bevor sie wegen Mrs. Mooneys Freundlichkeit und des offensichtlichen Verdachtes der Freundin noch in Tränen ausbrach.
Sie hoffte, dass Clive sich geändert hatte und sich bessern würde. Schließlich war das ja möglich. Außerdem liebte er sie. Noch nie war er netter und aufmerksamer zu ihr gewesen als in den letzten Tagen. Und in der vergangenen Nacht war er zu ihr ins Bett gekommen, voller Entschuldigungen und so zärtlich wie früher.
Trotzdem brachte sie es nicht über sich, ihm von dem Baby zu erzählen. Noch nicht. Nellie hatte ihr beim Abschied ins
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