Wind des Südens
allen Grund.
Auch das Innere des Hotels bot einen beklagenswerten Anblick. Da niemand in Sicht war, spähte Mal in die Bar, wo alles klatschnass war. Putzstücke von der Decke lagen herum wie weggeworfenes Geschirr. Die bunte Flaschensammlung war aus den verspiegelten Regalen verschwunden. Hoffentlich war sie noch so heil wie die Spiegel selbst, in denen nur noch die zerbrochenen Fensterscheiben zu sehen waren.
Geistesabwesend stellte Mal einen umgefallenen Stuhl auf, trat hinaus in die Hotelhalle und betrachtete die solide Treppe, inzwischen ohne Läufer und Messingbeschläge, als er Schreie hörte. Es waren die Schreie einer Frau.
So vorsichtig wie möglich trugen er und Franz den verletzten Neville ins Haus und legten ihn auf ein Sofa in dem kleinen Aufenthaltsraum neben der Küche, was nicht eben einfach war.
Währenddessen versuchte Mrs. Kassel, Esme zurückzuhalten, die ihren Mann einfach nicht loslassen wollte. Sie klammerte sich an Neville und beteuerte dabei unablässig, dass alles gut werden würde. Der Arzt würde gleich hier sein. Dann küsste sie ihn und flehte ihn an, doch aufzuwachen. Sie nahm das feuchte Tuch, das Mrs. Kassel ihr reichte, wischte ihm den Schmutz vom Gesicht, redete immer weiter auf ihn ein und beharrte darauf, dass er aufwachen müsse. Sie rief, Franz habe sich geirrt. Neville sei doch offenbar nur besinnungslos. Nachdem alle eine Ewigkeit hilflos daneben gestanden hatten, erschien endlich Dr. Fanning.
»Oh, Gott sei Dank, dass Sie da sind!«, begrüßte sie ihn. »Es geht ihm sehr schlecht. Er hat viel Blut verloren.«
Fanning schob sich an Esme vorbei, um ihren Mann zu untersuchen, und ließ sich dabei aus reiner Güte mehr Zeit, als eigentlich nötig gewesen wäre. Mal vermutete, dass er die Frau damit beruhigen wollte. Aber nach einer Weile blieb auch dem Arzt nichts anderes übrig, als das Stethoskop abzunehmen und den Kopf zu schütteln.
»Es tut mir Leid, Mrs. Caporn, aber es ist vorbei. Er hat einen schweren Schlag abbekommen, und zwar am Kopf und am Hals. Er hat nicht gelitten. Gott schenke seiner Seele Frieden.«
Mal musste Esme überreden, den Leichnam freizugeben und einer Überführung in die Leichenhalle zuzustimmen. Nach einer Weile gab sie nach, bestand aber darauf, hinter dem Wagen herzugehen.
»Ich kann ihn noch nicht hergeben. Es ist zu früh«, schluchzte sie. »Es ist noch nicht so weit, Mal. Ich brauche noch etwas Zeit.«
»Das stimmt. Es war sehr plötzlich für Sie beide. Ich begleite Sie zur Leichenhalle. Es ist nicht sehr anheimelnd dort, glauben Sie mir.«
Es gab so viel zu tun, und alle waren derart beschäftigt, dass Esme sich mit ihrer Trauer allein gelassen und vom Rest der Menschheit ausgeschlossen fühlte. Man brachte ihre Habe in ein Schlafzimmer im Untergeschoss und ging davon aus, dass sie ihre Kleider selbst sortieren würde, um aus den durchweichten Haufen zu retten, was noch zu retten war. Aber Esme saß nur da und starrte teilnahmslos auf das Tohuwabohu. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Wen interessierten schon Kleider? Außerdem hatte sie keine Ahnung vom Wäschewaschen und davon, wie man verdorbene Stoffe wieder herrichtete.
Als Mal am zweiten Abend kam, um Esme zu besuchen, kauerte sie auf dem Bett und rauchte Nevilles Pfeife.
Er schien das Durcheinander, den modrigen Geruch, ja, selbst die Pfeife nicht zu bemerken. »Wie geht es Ihnen?«
»Den Umständen entsprechend«, erwiderte sie tonlos. »Miserabel.«
Er nickte. »Ja«, meinte er und blickte aus dem Fenster. »Die Handwerker haben fast alle Trümmer aus dem oberen Stockwerk entfernt und fangen morgen mit dieser Etage an. Das Haus ist unbewohnbar.«
»Muss ich ausziehen?«
»Die Kassels müssen auch raus. Aber Mrs. Plummer lädt Sie ein, bei ihr zu wohnen. Was halten Sie davon?«
Esme konnte keinen klaren Gedanken fassen, und sie wusste auch nicht, was sie davon halten sollte. Außerdem war es ihr eigentlich egal. Also zuckte sie die Achseln.
»Gut, dann wäre das geklärt.« Mal schob ein Kleiderbündel von einem Stuhl auf den Boden, damit er Platz nehmen konnte. Esme blinzelte erschrocken.
»Ich weiß
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