Wind des Südens
und rauschte aus der Bank. Mit wild klopfendem Herzen eilte sie die verwüsteten Straßen entlang, um sich in ihr Zimmer zu flüchten. Doch das Zimmer gab es nicht mehr.
»Keine Angst«, meinte Mrs. Kassel. »Sie kriegen jetzt ein viel hübscheres Zimmer. Bei Mrs. Plummer. Ich fahre Sie hin.«
Esme fühlte sich, als würde sie ins Gefängnis gebracht. Jetzt hatte sie alles vermasselt. In Mrs. Plummers reizendem Haus wurde sie von Mal erwartet, der die Beerdigung und den Gottesdienst mit ihr besprechen wollte. Als Nächstes erschien ein Geistlicher, Pastor Lawder, um die Messe zu erörtern. Er wurde von seiner Frau begleitet, die sich erbot, mit Esme zu beten, doch Mrs. Plummer komplimentierte die beiden hinaus, nachdem alles geklärt war. Esme glaubte, dass dieser grässliche Tag nie enden würde.
»Können Sie das alles nicht absagen?«, rief sie Mrs. Plummer aus ihrem neuen Schlafzimmer zu. »Ich gehe nicht hin. Neville hätte nie so eine dämliche Beerdigung gewollt. Er hat so einen Firlefanz gehasst.«
»Ich koche Ihnen etwas zum Mittagessen. Dann halten Sie ein kleines Nickerchen, und anschließend nehmen Sie ein schönes kühles Bad. Sie müssen doch hübsch sein, wenn Sie Mr. Caporn treffen.«
»Ich habe nichts anzuziehen.«
»Doch, haben Sie schon. Ich habe Ihr schwarzes Kleid für Sie gewaschen. Das mit den Jetperlen. Es hat mir schon immer gut gefallen. Und der Hut, den Sie heute aufhatten, ist ein Traum. Inzwischen sind wir nur noch drei vom Schiff und müssen einen guten Eindruck machen. Mal begleitet uns. Ich habe ihm gesagt, er soll ein ordentliches weißes Hemd mit steifem Kragen …«
Mrs. Plummer schmunzelte. Das arme Mädchen war in dem hübschen Himmelbett mit dem Moskitonetz aus Musselin eingeschlafen. Auch sie hatte heute eine Nachricht erhalten, aber niemanden damit behelligen wollen: Ihr Anwalt in Hongkong hatte eine einvernehmliche Scheidung für sie erwirkt, und zwar mit der Begründung, ihr Mann habe in betrügerischer Absicht seine wahre Identität verschleiert. In drei Monaten würde sie nach Aussage ihres Anwalts offiziell wieder ledig sein.
Er war nicht unbedingt ein taktvoller Mensch, denn er hatte geschrieben: »Wenn erst Gras über den Klatsch und die Gerüchte gewachsen ist, können Sie zurückkommen, Eleanor, und wieder unter Ihren Freunden leben. Ich finde es ziemlich überstürzt, dass Sie Ihr Haus verkauft haben, aber wir werden für Sie schon eines finden, das in gleicher Weise geeignet ist.«
Eleanor wollte ihm morgen antworten, sich für seine ausgezeichneten Dienste bedanken und sich erkundigen, was sie tun musste, um wieder ihren Mädchennamen – von Leibinger – annehmen zu können. Außerdem war noch ein Brief von Lyle Horwood eingetroffen, der Eleanor mitteilte, dank seiner Stellung bei der Oriental und seiner Beharrlichkeit würden die Passagiere der China Belle eine angemessene Entschädigung erhalten …
»Einschließlich deiner eigenen Person«, merkte sie spöttisch an.
»… werden alle verloren gegangenen Schmuckstücke vollständig und umgehend ersetzt. Ein weiter Ersatz wird nicht geleistet.«
Esme hielt den Gottesdienst, die quälend lange Predigt des Pastors und die Reden der örtlichen Würdenträger durch, die sich bemüßigt fühlten, vorzutreten und den Helden zu loben, der für eine Dame in Gefahr sein Leben geopfert hatte. Sie war erstaunt über die vielen Trauergäste. Die kleine Kirche war brechend voll, und die beliebten Kirchenlieder, die Esme in ihrer Heimat gelernt hatte, wurden in dieser kleinen Buschstadt am anderen Ende der Welt mit solcher Inbrunst gesungen, dass es ihr ans Herz ging. Sie wünschte, dass Neville es hören könnte.
Der Sarg war elegant und mit einem prachtvollen Blumenmeer bedeckt, und die Trauergäste brachten weitere Sträuße mit. Die Blumen schmückten die Kirche, als wollten sie mit ihren bunten Farben über den traurigen Anlass hinwegtäuschen. Esme starrte darauf, um zu verhindern, dass sie vollends zusammenbrach.
Am Grab jedoch konnte sie nicht mehr an sich halten. Weinend nahm sie von Neville Abschied, während Mrs. Plummer sie mütterlich umarmte. Mal stand, scheinbar gleichmütig, daneben, fühlte sich aber sicher mindestens so elend wie sie. Und dann war es endlich
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