Wind des Südens
seine gute Seite«, sagte er sich feierlich. »Der liebe Gott hat mir beigestanden.«
Unverzüglich suchte Raymond Sir Lyle in seinem neuen Haus in Fortitude Valley auf. Es war ein riesiges gesichtsloses Anwesen mit einem großen Garten, den überladene Brunnen und kitschige Statuen zierten. Eigentlich hatte Raymond erwartet, dass die Horwoods den Garten irgendwann von all den Engeln und Putten säubern würden, doch stattdessen hatten sie noch weitere angeschafft. Außerdem war da noch Lyles ganze Freude und Stolz: ein steinerner Lehnsessel, der verdächtig an einen Thron erinnerte. Lavinia hatte sich die unfreundliche Bemerkung nicht verkneifen können, der Garten würde einem Friedhof immer ähnlicher.
Raymond traf Horwood, der inzwischen auf die Anrede Sir Lyle bestand und jegliche Abweichung davon gnadenlos korrigierte, umgeben von Bücherkisten in seiner Bibliothek an.
»Sie kommen wie gerufen, Lewis«, verkündete er. »Ich ertrinke im Chaos und habe niemanden, der mir hilft, diese Bücher zu sortieren. Die verdammten Dienstboten haben angefangen, sie nach Farben in die Regale zu stellen, so dass ich einschreiten musste. Ich wollte sie alphabetisch ordnen, aber diese Trottel beherrschen das Abc nicht. Außerdem sollen die lesbaren Werke auf dieser Seite des Raums hinter meinem Sofa und die unlesbaren auf der anderen stehen, damit ich keine Zeit verliere. Schauen Sie sich das an«, er tippte auf ein in Leder gebundenes Buch. »Der duftende Garten. Das kommt auf die unlesbare Seite – unter B für Burton. Mit solcher Blümchenpoesie gebe ich mich nicht ab. Das ist etwas für Waschlappen.«
Er reichte Raymond das Buch, der es mit einem Grinsen gehorsam ganz nach oben auf die »unlesbare Seite« stellte.
»Na, das ist eher nach meinem Geschmack!«, rief Sir Lyle aus und hielt einen Bücherstapel hoch. »Kennen Sie die? Von William Kingston. Tolle Abenteuergeschichten. Peter der Walfänger ist die beste. Stellen Sie das auf meine Seite. Wahrscheinlich werde ich die Regale ›meine Seite‹ und ›ihre Seite‹ nennen. Die Bücher in dieser Kiste gehören alle ihr. Byron und die Brontë-Weiber, lauter solches Zeug eben. Meine Frau liest so etwas. Stellen Sie das zu den unlesbaren Büchern.« Er lachte auf. »Es muss wohl am Buchstaben B liegen.«
»Ja.« Raymond schmunzelte, nahm den Hut ab und legte ihn mit dem Stock auf eine Kommode. »Eigentlich bin ich hier, Sir Lyle, um Ihnen von dem Zyklon zu erzählen.«
»In Cairns.« Keuchend förderte Horwood weitere in Leder gebundene Wälzer zutage und stellte sie auf den polierten Tisch. »Ich habe davon gehört. Passen Sie auf, ich rufe die Dienstboten wieder herein. Sie sollen alles auf dem Tisch ausbreiten, und ich sortiere dann weiter. Eigentlich wäre das ja die Aufgabe meiner Frau, aber weil sie nicht da ist, muss ich mich selbst darum kümmern.« Er zog an einer langen Kordel, und kurz darauf kam ein Diener herein.
»Packen Sie das alles aus, und verteilen Sie es auf dem Tisch. Wenn ich die Bücher aus den Kisten hebe, verrenke ich mir den Rücken. Wo waren wir stehen geblieben, Raymond? Ach, ja, Cairns. Trinken Sie ein Schlückchen mit mir?«
Als sie endlich mit einem Glas Whisky im Salon saßen, erbot sich Raymond, seine Schwester für die Aufgabe des Büchersortierens zu gewinnen, damit man ihn nicht wieder damit belästigte.
»Lavinia wäre sicher überglücklich, Sir Lyle.«
»Ausgezeichnet. Ich nehme gern an. Ich mag Lavinia sehr. Kann sie morgen kommen?«
»Vermutlich schon. Sie sagten, Constance sei nicht da. Dürfte ich fragen …?«
»In einem Sanatorium, alter Junge. Die Lungen, Sie wissen schon. Aber das soll sich nicht überall herumsprechen. Sie ist im St. Clement’s Hospital.«
»Oh, das tut mir Leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Sollen wir sie besuchen, Lavinia und ich? Wir könnten sie etwas aufmuntern …«
»Nein, nein, jetzt noch nicht. Warten Sie, bis sie sich besser fühlt.«
Raymond war ehrlich bestürzt, dass Constance offenbar an Schwindsucht erkrankt war. Doch er ärgerte sich auch, weil Horwood ihm nicht Bescheid gegeben hatte. Die meisten Leute sprachen, so wie Horwood jetzt, nur hinter vorgehaltener Hand über diese Krankheit, was Raymond für höchst
Weitere Kostenlose Bücher