Wind des Südens
wirklich ein enger Freund der Familie. Sie werden es doch nicht übers Herz bringen, ihm diese Bitte zu verweigern.«
»Meinetwegen. Ein paar Minuten, Mr. Lewis, obwohl ich das eigentlich nicht erlauben sollte. Allerdings nicht unter vier Augen. Sie könnte einen Rückfall erleiden.«
Die Oberschwester schloss die Tür auf: »Sie haben Besuch, meine Liebe. Hier ist ein Besucher für Sie.«
»Ich bekomme nie Besuch«, entgegnete Constance, die auf dem Bett lag, müde.
»Aber dieser Herr kennt Sie. Es ist Mr. Lewis.«
»Wer?«
»Ich bin es, Raymond Lewis«, erwiderte er. Als Constance diese Worte hörte, eilte sie zur Tür. Ein blauer Morgenmantel aus Seide bauschte sich über einem langen Nachthemd.
»Raymond. Sie sind es wirklich! Wo waren Sie so lange? Ich habe auf Sie gewartet. Kommen Sie. Hinter der Tür steht ein Stuhl. Nehmen Sie Platz. Ich setze mich aufs Bett.«
»Sie können gehen«, meinte sie zur Oberschwester, offenbar ohne die andere Besucherin in der Tür zu bemerken. »Ich möchte mich gern ungestört mit Mr. Lewis unterhalten.«
»Ich fürchte, das ist nicht möglich. Sie wissen schon, die Vorschriften …«
»Hinaus!«, rief Constance, schob die beiden Frauen weg und schloss die Tür.
»Tut mir Leid, Raymond«, sagte sie dann. »Sie halten mich für verrückt, und meinetwegen sollen sie das ruhig weiter glauben. Stört es Sie vielleicht, mit einer Verrückten hier eingeschlossen zu sein?«
»Ganz und gar nicht.« Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie die Oberschwester durchs Fenster spähte. »Ich bin eher überrascht, wie gut Sie aussehen.«
»Besser als damals, als Sie mich in Cooktown fanden.«
»Sie waren in einem schrecklichen Zustand. Was nachvollziehbar war, wie ich hinzufügen muss.«
»Ja, es ging mir schrecklich. Ich war todkrank und verwirrt.« Constance raffte den Morgenmantel zusammen, band den Gürtel enger und ließ sich am Fußende des niedrigen Betts nieder. »Nicht gerade ein Palast hier.«
»Ziemlich kahl.«
»Es könnte nicht kahler sein. Finden Sie wirklich, dass ich gut aussehe?«
»In der Tat. Allerdings mache ich mir Sorgen um Sie. Man zwingt Sie doch nicht etwa, auf dem Kopf zu stehen?«
Constance seufzte auf. »Es hat, wie ich festgestellt habe, seine Vorteile, wenn einem plötzlich ein Adelstitel in den Schoß fällt. Wenn Lady Horwood ruft, springen alle. Ich muss weder Kopfstand machen noch vor neun Uhr frühstücken. Aber reden wir nicht über die anderen. Wie Sie sehen, sabbere ich noch immer und habe ein Zucken im Mundwinkel, gegen das ich machtlos bin. Lyle findet das widerwärtig und peinlich. Ich bringe ihn in Verlegenheit.«
»Aber, aber …«
»Doch zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber. Ich muss mit Ihnen sprechen.«
Raymond lauschte geduldig, während Constance ihm ihre Lage schilderte, und er fragte sich, was diese Frau in einer Irrenanstalt verloren hatte. Doch da er kein Freund voreiliger Schlüsse war, schob er den Gedanken beiseite.
Offenbar war sie von einem Arzt in Cairns unter Betäubungsmittel gesetzt und anschließend auf ein Schiff nach Brisbane gebracht worden. Narkotisiert hatte man sie deshalb, weil sie sich nach dem schrecklichen Erlebnis auf der China Belle geweigert hatte, noch einmal einen Fuß an Bord eines Schiffes zu setzen.
»Sie waren ebenfalls an Bord«, meinte sie.
»Ich weiß. Und die Sache war mir auch nicht ganz geheuer. Aber Sie hatten ja eine Krankenschwester bei sich.«
»Schon gut. Immer wieder bekam ich diese Panikattacken, die mich völlig hilflos machten, obwohl längst keine Gefahr mehr drohte. Ich dachte, wenn ich wieder auf ein Schiff muss, verliere ich den Verstand. Aber, siehe da, ich habe die Schiffsreise überstanden, ohne seekrank zu werden, und der Himmel ist mir auch nicht auf den Kopf gefallen. Dann wohnten wir bis zu Lyles Erhebung in den Adelsstand – Sie waren übrigens auch dabei – in einem Hotel. Es war ein Albtraum. Ich wollte nicht zu der Feier gehen, aber Lyle bestand darauf und verlangte, dass ich einen Schleier trug, damit niemand das Zucken sah.
Ein Arzt hier sagt, ich würde
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