Wind des Südens
gewaltigen Wasserfall gehen, der bei den Aborigines Dinden hieß, auf den Landkarten jedoch als Barron Falls verzeichnet war.
Während die Reisegesellschaft sich auf die Kletterpartie vorbereitete, sah Jesse Mal Willoughby, begleitet von zwei Chinesen, die Straße entlangreiten. Der eine, ein kräftiger Bursche mit dünnem Schnurrbart, war – zumindest für diese Gegend – elegant gekleidet. Der andere, der ihnen folgte, war offenbar dessen Diener.
»Hallo, hier drüben bin ich, Mal!«, rief Jesse. »Beim Gouverneur und seinen Leuten. Wir werden Barron Falls besichtigen. Möchtest du mitkommen?«
Mal stieg ab. »Tut mir Leid, ich kann nicht. Wir reiten nach Cairns. Aber vorher muss ich mit dir sprechen. Es ist dringend.«
»Warum? Was ist passiert? Hast du Tussup gefunden?«
»Nicht ganz.«
Jesse lachte auf. »Was meinst du mit ›nicht ganz‹?« Als er aber Mals warnenden Blick auffing, fügt er hinzu: »Ist bei dir alles in Ordnung, alter Junge?«
»Ja. Prima. Alles bestens.«
»Warum wartest du dann nicht auf mich? Das da ist der Gouverneur mit seinem Gefolge. Ich bin eingeladen, ihn zu begleiten, eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihm einige Fragen zu stellen.«
Schmunzelnd wandte Mal sich zu dem ersten Chinesen um. »Sehen Sie, Chang? Das ist unser Gouverneur, der da neben dem Zelt steht.«
»Nein!« Der Chinese traute seinen Augen nicht. Wie konnte ein derart wichtiger Mann sich so ungezwungen unter die Menschen begeben? Während Chang die Szene begaffte, hatte Mal Gelegenheit, Jesse zuzuflüstern: »Es ist etwas geschehen. Ich erzähle es dir, wenn du zurück bist.«
Ohne seine Begleiter vorzustellen, schwang er sich wieder in den Sattel, und sie ritten davon.
Jesse überlegte kurz, ob er ihnen folgen sollte, um herauszufinden, was Mal bedrückte. Doch die Chance, Kennedy persönlich kennen zu lernen, durfte er sich einfach nicht entgehen lassen. Er hatte so viele Fragen auf dem Herzen, insbesondere die, warum die staatliche Hilfe für Cairns nicht schneller geleistet wurde, damit die Stadt nach dem Wirbelsturm wieder auf die Beine kam.
Chang platzte fast vor Neugier. »Ihr Freund kennt den Gouverneur?«
»Ja«, erwiderte Mal.
»Wo sind denn seine Diener?«
»Irgendwo in der Nähe. Bei diesen Erkundungsreisen in den Busch geht es nicht sehr förmlich zu.«
»Wo schläft der Gouverneur?«
»In einem Zelt.«
»Um Himmels willen! Das darf doch nicht wahr sein! Und Dienerinnen hat er gar keine bei sich?«
»Nein.«
Chang wollte noch einmal am Lager des Gouverneurs vorbeireiten und jubelte, er würde nach seiner Heimkehr berichten können, er habe den Herrn über das ganze Land gesehen. Mal tat ihm den Gefallen und sparte sich die Mühe, ihm den Unterschied zwischen einer Kolonie und dem gesamten Land zu erklären. Die Ablenkung kam ihm sehr gelegen, und er wünschte, er hätte Zeit gehabt, Jesse von den jüngsten Entwicklungen zu erzählen.
Chang Selbstgefälligkeit war ein Anblick für sich. Hoch erhobenen Hauptes und ohne mit der Wimper zu zucken, trabte er an zwei berittenen Polizisten vorbei, felsenfest davon überzeugt, dass Mal ihn nicht verraten würde.
»Sei dir da bloß nicht so sicher«, murmelte dieser.
Während Wu Tin das Lager aufschlug, begann Mal wieder, Chang zu befragen. »Wer bezahlt Sie?«
»Herr Li wird mich bezahlen, wenn ich auf dem Heimweg nach Cooktown komme. Die Familie bezahlt ihrerseits Herrn Li. Ganz einfach also.«
»Wie wollen Sie beweisen, dass Sie Tussup getötet haben?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt: Wu Tin kann es nämlich bezeugen.«
»Sie könnten doch mit ihm unter einer Decke stecken, um die Belohnung zu kassieren.«
»Und riskieren, dass man mir die Kehle durchschneidet? Auf keinen Fall.«
Mals Magen krampfte sich zusammen. Er wünschte sich verzweifelt, Chang würde gestehen, dass er gelogen hatte. Doch ganz gleich, wie oft er unterwegs auch versucht hatte, ihn bei einem Widerspruch zu ertappen, er blieb bei seiner Geschichte.
Er
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