Wind des Südens
zugewiesen worden war, und das gefiel ihm. Er mochte Jake; der Kerl war ein Draufgänger. Er hatte ihn vor Jahren in Singapur kennen gelernt.
Inglebys Boot wurde nicht vorschriftsmäßig zu Wasser gelassen, doch das sollte Tommys Sorge nicht sein. Er lief einfach weiter, nur um dann von Bartie Lee und Mushi aufgehalten zu werden, die zwei von den Frauen mit sich zerrten.
Als sie Jakes Boot erreichten, war es bereits startklar. Etwa zehn Mann waren an Bord, und Jake drängte zur Eile, doch als er die beiden Frauen sah, brüllte er: »Keine Frauen! Ich hab’s dir doch gesagt, Bartie. Keine Frauen, verdammt!«
Doch Bartie lächelte nur ölig. »Wir retten sie, Kumpel. Retten die Frauen vorm Ertrinken. Kriegen viel Geld dafür.« Er zog einen Revolver aus dem Gürtel. »Keine Zeit für Streitereien.«
Finde ich auch, dachte Tommy und sprang neben die Frau aus der Familie Xiu, die den Weißen geheiratet hatte, ins Boot. Sie weinte und hielt sich verzweifelt am Bootsrand fest, als es aufs Wasser aufschlug und die Ruderer sich ans Werk machten.
Die andere Frau, Mrs. Horwood, schien unter Schock zu stehen. Sie war ganz still, aber Mrs. Willoughby jammerte und schrie, als das Boot sich vom Schiff entfernte. Tommy sah, wie das zweite Boot klatschend aufs Wasser aufschlug und kenterte und wie die Dummköpfe versuchten, es aufzurichten, aber sie selbst waren schon unterwegs; umkehren kam nicht in Frage. Sie hatten die Chance, geradewegs zu den Goldfeldern zu gelangen, und das allein zählte.
Mittlerweile wehrte sich die Chinesin heftig und versuchte, aus dem Boot zu steigen. Sie biss Bartie Lee, der ihr ins Gesicht schlug, und sie kratzte Tommy bei dem Versuch, sich an ihm vorbeizudrängen. Sie zappelte mit Armen und Beinen, wand sich wie ein kleiner Oktopus und wehrte die Männer ab. Bartie zerrte sie am Haar zurück, doch sie riss sich los und kletterte über Tommys Rücken. Er fuhr herum, um sie zu packen, doch sie war schlüpfrig von Schweiß, ob von ihrem eigenen oder dem der Männer wusste er nicht, und dann konnte er nicht mehr denken, denn sie war in der plötzlichen Dunkelheit verschwunden.
Als Mal zu sich kam, hörte er sie, sprang auf, rannte los und rief ihr zu, durchzuhalten. Er hätte jetzt gern eine Schusswaffe gehabt, doch als er sah, dass die Rettungsboote fort waren, erkannte er, dass ein Revolver ihm nichts genützt hätte, selbst wenn sie noch in Reichweite gewesen wären. Jun Lien schrie immer noch, und er rief ihr zu, sie solle weiterschreien, damit er das Boot, in dem sie sich befand, ausmachen konnte. Er würde sie finden, das schwor er sich, er würde sie holen, und wenn er alle anderen über Bord werfen musste. Ohne einen Gedanken daran, dass sie bewaffnet waren, stieg er über die Reling, sprang kopfüber ins Wasser und tauchte so weit wie möglich ihrer Stimme entgegen.
Er schwamm, verfolgte das Boot, als er Schreie und Rufe hörte und dann Jake Tussups Stimme: »Pass auf, Bartie, um Himmels willen! Sie fällt ins Wasser!«
Dann eine andere Stimme, glockenklar über das Wasser hinweg: »Sie ist über Bord gegangen, Boss.«
»Nein!«, brüllte Mal. »Nein!« Seine Arme pflügten durch das Wasser, er schwamm seiner Frau entgegen und rief: »Hast du sie, Jake? Hast du sie?« Seine Stimme schien sich im Takt mit dem Ruderschlag aus dem Wasser zu erheben.
»Nein!«
Er spürte den Ruderschlag im Wasser und bemerkte voller Verzweiflung, dass er nicht aus dem Takt geriet, sich nicht verlangsamte. Gleichgültig entfernte sich das Boot von ihm, doch das »Nein!« hallte immer noch in seinem Kopf wider. Abgesehen von dem sich entfernenden Geräusch der Ruder herrschte entsetzliche Stille, nur Mal rief nach Jun Lien. Und plötzlich war sie da. Einen Augenblick lang sah er sie kämpfen. Sah ihr fließendes Haar und ihr weißes Gesicht über dem dunklen Wasser, und er schwamm auf sie zu, doch dann war sie fort. Verzweifelt tauchte Mal, immer wieder, immer tiefer. Er hätte nicht aufgehört zu tauchen, hätte lieber bis zu seinem letzten Atemzug nach ihr gesucht, statt seine wunderschöne Jun Lien allein der grimmigen Tiefe zu überlassen. Doch dann fanden seine Hände sie, packten sie, zogen sie an die Oberfläche, einen langen, langen Weg, mit berstenden Lungen, bis sie den Wasserspiegel durchbrachen und
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