Wind des Südens
er nach Luft schnappte.
Jun Lien lag schwer in seinen Armen, und schlaff. Zu schlaff. Er blies Luft in ihren Mund, zwang Luft in ihre Lungen und schwamm um ihr Leben zum Schiff. Ein Mann rief um Hilfe, ein schwaches Geräusch, irgendwo da draußen, doch Mal schenkte dem keine Aufmerksamkeit mehr, er hielt Jun Lien mit einem Arm und bewegte sich mit der Kraft seiner langen, starken Beine vorwärts.
Als die Wachen fort waren, gelang es dem Kapitän und Horwood, sich quer durch den Raum zu schleppen, herabgefallene Messer zu erreichen und ihre Fesseln zu zerschneiden. Sie hasteten nach draußen, überließen es Lewis, sich um Caporn zu kümmern, der kaum noch bei Bewusstsein war. Die Wunde oberhalb seines linken Ohrs blutete noch immer. Sie befreiten die schreienden Frauen aus der Kapitänskajüte und stellten entsetzt fest, dass Constance Horwood und Mrs. Willoughby fehlten.
»Wo sind sie?«, brüllte Loveridge. »Um Gottes willen, wo sind sie?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Mrs. Plummer verängstigt, und dann begann Mrs. Caporn, die auf der Koje gelegen hatte, hysterisch zu schreien. »Wo ist mein Mann? Haben diese Ungeheuer ihn auch mitgenommen?«
»Nein«, sagte Horwood. »Ihm geht’s gut. Ihm geht’s bald wieder gut. Ich werde mich gleich um ihn kümmern. Aber sie werden doch wohl die Frauen nicht mitgenommen haben! Sie müssen irgendwo anders ein gesperrt sein.«
Er und Loveridge durchsuchten sämtliche Kabinen und brachen unter dem Schock beinahe zusammen, als sie Bootsmann Flessers Leiche fanden.
»Gott steh uns bei«, stammelte Loveridge. »Was haben sie mit den anderen Offizieren gemacht?«
Sie eilten zurück an Deck und begannen mit der systematischen Suche nach den Offizieren und den beiden Frauen, überzeugt, nachdem sie vom Schicksal des Bootsmanns wussten, dass sie nur ihre Leichen finden würden.
»Beide Rettungsboote sind fort«, rief Horwood. »Wie kommen wir jetzt runter von diesem Schiff?«
Loveridge, inzwischen der Verzweiflung nahe, antwortete nicht darauf. Das war im Augenblick seine geringste Sorge.
Der Himmel im Osten zeigte das erste Rosa, das sich über dem Wasser ausbreitete, und der Kapitän weinte, als er zum Land hinüberspähte und keine Spur von den Meuterern entdecken konnte, doch dann hörte er Willoughby um Hilfe rufen. Willoughby hatte er völlig vergessen, wie er leicht beschämt feststellte. Dort unten im Wasser war er.
»Allmächtiger Gott!«, schrie der Kapitän. »Horwood, kommen Sie rauf und helfen Sie mir. Da sind Willoughby und seine Frau.«
Eleanor versuchte, Mr. Willoughby zu trösten. Sie legte die Arme um seine Schultern und flüsterte: »Es tut mir so Leid, mein Lieber. So schrecklich Leid, sie war so ein wunderbarer Mensch.«
Er nickte, das Gesicht nass von Tränen, drückte Jun Lien an sich, hielt sie zärtlich in den Armen, während er zu Boden glitt, da seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten.
»Vielleicht sollten wir uns jetzt um Jun Lien kümmern«, sagte sie leise. »Der Kapitän trägt sie, und ich gebe Acht auf sie. Kämme ihr Haar, mache sie hübsch zurecht.«
Doch er ließ sich nicht überreden. Sein Schmerz war zu groß, um sich jetzt schon von seiner geliebten Frau trennen zu können.
Da stürmte Esme Caporn aus dem Speisesalon und schrie den Kapitän an: »Was tun Sie hier? Mein Mann braucht Hilfe! Sie haben mir nicht gesagt, dass auf ihn geschossen wurde. Warum kümmern Sie sich nicht um ihn …« Sie brach abrupt ab und starrte auf den Mann am Boden, der die Frau in den Armen hielt. »Was ist passiert?«, rief sie. »Mein Gott, was ist dem Mädchen zugestoßen? Ist sie tot? O mein Gott!«
Willoughby sagte leise: »Kümmern Sie sich um ihn, Captain. Wir brauchen hier niemanden, wir beide. Ich möchte gern eine Weile allein sein mit Jun Lien.«
Loveridge holte den Sanitätskasten und verband rasch Caporns Wunde. Dann gab er ihm etwas Laudanum.
Mrs. Plummer empfahl, auch Esme Caporn ein paar Tropfen zu geben, was er sogleich tat, um sich gleich darauf Lyle Horwood anzuschließen, der voller Verzweiflung noch einmal das Schiff durchsuchte.
»Keine Spur von ihr«,
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