Wind des Südens
kürzlich erschlossen, und man hat dort einen Platz für eine Siedlung gesucht. Vielleicht ist die bereits entstanden – ich weiß es nicht. Ziemlich abgelegen, verstehen Sie? Und gefährlich. In der Gegend gibt es zahllose Stämme von Wilden.«
»Nun, ich möchte wetten, dass die Mannschaft dorthin will! Dorthin!« Er zeigte auf die Küste. »Mit Mrs. Horwood. Geben Sie nicht auf, Sir. Ich schätze, sie ist in Sicherheit.«
Er sah, wie Horwood taumelte, beinahe ohnmächtig wurde, und nahm seinen Arm. »Kommen Sie. Sie sollten sich ein wenig hinlegen.«
Willoughby suchte erneut den Kapitän auf. »Was haben Sie mit Bootsmann Flessers Leiche gemacht?«
»Tut mir Leid, Mal, wir wollten Ihnen noch mehr Schmerz ersparen. Wir haben ihn nach einem kurzen Gottesdienst auf See bestattet, während Sie bei Jun Lien waren.«
»Das dachte ich mir. Aber kommen Sie nicht auf die Idee, mit meiner Frau genauso zu verfahren.«
»Nein. Das tun wir nicht.«
»Gut, betrachten Sie es als Warnung. Tun Sie’s nicht. Kann ich jetzt eine Pause einlegen?«
»Ja. Ich übernehme die Wache.«
Mal ging unter Deck, schlüpfte leise in die Kabine, in der Tom schlief, setzte sich zu ihm und wartete.
Eine Stunde verging, bevor Tom Anstalten machte aufzuwachen, doch Mal hatte Geduld. Er hielt Wache, brauchte den Mann ausgeschlafen, erfrischt und frei von Hysterie.
Irgendwann wurde Tom unruhig und schrie auf, doch Mal beschwichtigte ihn. »Alles in Ordnung, du bist in Sicherheit. Kein Grund zur Aufregung.«
»Oh, Gott sei Dank«, sagte der Offizier. »Ich hatte einen Albtraum, war wieder draußen im Wasser. Es war furchtbar.«
»Wir nehmen an, dass das Rettungsboot gekentert ist.«
»Ja, so war’s. Sie haben es wieder aufgerichtet, sind dann aber nicht zurückgekommen, um uns mitzunehmen. Sie sind einfach davongerudert und haben uns zurückgelassen. Es war grauenhaft … Ich habe gesehen, wie die Männer von den Haien geholt wurden.«
»Denk jetzt nicht daran. Warum haben die Meuterer euch mitgenommen?«
Er sah, wie es nervös in Toms Augen flackerte. »Das haben sie uns nicht gesagt. Haben uns einfach an Bord getrieben.«
»Dich und Jake?«
»Ja.«
»Und die Frauen? Meine Frau?«
»Ja.«
»Du lügst, Tom. Meine Frau ist tot. Sie ist da draußen ertrunken.«
»O Gott, nein. Wir haben … Ich wusste das nicht. Es tut mir so Leid, Mal.«
»Dazu wirst du bald noch viel mehr Grund haben, Tom, denn ich werfe dich wieder ins Wasser. Und zuvor verletze ich dich, dass es blutet, damit die Haie dich auch wirklich nicht verpassen.«
»Das kannst du nicht tun! Das darfst du nicht!« Er schrie so laut, dass Mal ihm den Mund zuhalten musste.
»Ich kann es. Und ich tu es. Du hattest das Kommando über das eine, Jake über das andere Boot.«
»Woher weißt du das?«, flüsterte Tom.
Mal packte ihn an den Ohren und log: »Du bist nicht der einzige Überlebende, du Dummkopf. Sag mir jetzt die Wahrheit, oder du bist tot, bevor die Nacht vorüber ist.«
»Gehen Sie lieber mal runter, um mit Ihrem Zweiten Offizier zu reden«, sagte Mal bitter. »Beschützen Sie ihn, Captain, sonst könnte ich ihn umbringen. Jake Tussup hat den Plan ausgeheckt, um zu den Goldfeldern da drüben zu gelangen. Die reichen Frauen mitzunehmen, um Lösegeld zu erpressen, war Bartie Lees Idee, aber der Scheißkerl da unten hat mitgemacht. Er ist ein Jasager, wie der verdammte Rest auch.«
»Hat er Ihnen das alles erzählt?«
»Ja. Beichten tut der Seele gut.«
Als der dritte Tag gekommen war, dachte der Kapitän, ihnen würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als ein Floß zu bauen und das Schiff zu verlassen, wenn sie noch sehr viel länger warten mussten. Sie konnten das Steigen des Wassers nicht ignorieren, das den Kampf gegen die Pumpen gewann, und auch nicht die dunklen Gewitterwolken am Horizont. Die China Belle , ohnehin schon leck geschlagen, war einer wilden, stürmischen See nicht gewachsen. Er betete zu Gott, dass er ihnen weitere
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