Wind des Südens
Schließlich wurde ein ganzer Stapel von Einkäufen für den jungen Herrn eingepackt, und Esme sah mit angehaltenem Atem zu. Ihr war nicht klar gewesen, dass Neville tatsächlich etwas kaufen wollte, auch nicht, dass er bereit war, so viel Geld auszugeben, aber da lag nun alles säuberlich eingewickelt und in Schachteln verpackt, und die Rechnung wurde erstellt.
»Sag mal«, wandte Neville sich an Esme. »Wenn ich mich recht erinnere, gibt es in der Bond Street doch einen viel besseren Herrenausstatter, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Esme, die die Spielregeln nun verstand.
»Dann sollten wir dorthin gehen.«
Er drehte sich zu dem Verkäufer um und sagte gedehnt: »Ich habe es mir anders überlegt. Diese Sachen hier kann ich nicht brauchen. Sie entsprechen nicht meinen Anforderungen.«
Esme nahm seinen Arm, und gemessenen Schritts verließen sie das Geschäft, schlenderten um die nächste Ecke und brachen in lautes Gelächter aus.
Nach diesem Erlebnis wurden sie enge Freunde und verbrachten so viel Zeit wie möglich zusammen, bis Esmes Mutter sich zu sorgen begann.
»Dieser Bursche, wie heißt er gleich, der neuerdings ständig bei uns ist … aus welchen Verhältnissen stammt er?«
»Du sprichst von Neville. Ich habe dir schon hundertmal gesagt, wie er heißt. Seinem Vater gehört Caporn Engineering, und Neville und seine Brüder arbeiten in der Firma. Es ist ein Familienbetrieb.«
»So. Dann will ich hoffen, dass du nicht mit dem Gedanken spielst, den Burschen zu heiraten.«
»Warum nicht? Die Caporns sind wohlhabend. Wenn ich ihn heirate, braucht ihr mich nicht in die Tretmühle zu schicken.«
»Spar dir deine Witze.« Ihre Mutter seufzte. »Die passen nicht zu dir. Du kannst diesen Neville nicht heiraten. Du könntest eine viel, viel bessere Partie machen, so hübsch, wie du bist.«
»Hübsch?« Esme staunte. »Du hast gesagt, ich wäre hässlich.«
»Das habe ich nie gesagt. Du warst früher eher unscheinbar, aber inzwischen bist du aufgeblüht. Gestern noch hat dein Vater bemerkt, dass deine Haarfarbe den rötlichen Schimmer verloren und sich zu einem hübschen Rotbraun vertieft hat.«
Sie kam näher und nahm ihre Tochter in Augenschein. »Und das stimmt, und dein Teint ist reiner, und deine Figur weist nette Rundungen auf.«
»Hör auf, mich zu begutachten, als wäre ich ein Pferd! Das ist ausgesprochen ungezogen!«
»Unsinn! Wir können uns einen angemessenen Ball zu deinem Debüt in der Gesellschaft nicht leisten, und deshalb haben dein Vater und ich beschlossen, uns auf eine ›Esme-Expedition‹ zu begeben. Das wird bestimmt lustig. Wir nehmen dich mit auf eine Reise, besuchen Freunde in ihren Landhäusern, wo du heiratsfähige junge Herren kennen lernen wirst.«
»Ich komme nicht mit!«
»O doch, du kommst mit. Und jetzt begleitest du mich, damit wir eine Garderobe für dich zusammenstellen.«
Esme lernte tatsächlich mehrere heiratswillige junge Männer kennen und bezauberte sie, doch ihr Herz war bei Neville, der sich während der drei Monate ihrer Abwesenheit so um sie sorgte, dass ihm eine Nervenkrankheit drohte, und am Tag ihrer Rückkehr eilte er zu ihr in die Wohnung an der Edgware Road.
»Hast du dich in einen von den Trotteln verliebt?«, fragte er sie atemlos.
»Nein, du Dummkopf. Natürlich nicht.«
»Dann lass uns heiraten.«
»Gute Idee. Wann?«
»Ich dachte mir, wir könnten durchbrennen und nie wieder zurückkommen. Ich hasse die Arbeit in der Fabrik. Und selbst, wenn mein Vater den Hut nimmt, würde ich dort immer noch von meinen Brüdern herumkommandiert.«
»Wohin sollen wir durchbrennen?«
»Wie wär’s mit dem Fernen Osten? Wo immer der auch sein mag, viel weiter kann man wohl nicht fliehen.«
»Gut.«
Doch am nächsten Tag bekam Esme Skrupel. »Wir können nicht durchbrennen. Du hast nicht viel Geld gespart, und ich habe gar nichts. Wir müssen vernünftig sein. Wir sollten uns zuerst verloben und dann Hochzeit feiern. Denk nur an die vielen Geschenke!«
»Und was ist mit dem Fernen Osten? Wollen wir silberne
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