Wind Die Chroniken von Hara 1
Sommersprossigen unter der Schädeldecke. Das Messer, das meine Leber aufschlitzen sollte, fiel zu Boden, schnitt mir dabei aber noch Hemd und Haut auf. Jeden Schmerz unterdrückend, hechtete ich nach links zur Tür. Da drehte sich Marna auch schon um und schoss.
Ich flog förmlich in das Zimmer hinein (und entkam damit knapp dem Bolzen), verlor das Gleichgewicht, fiel zu Boden und rollte ab, wobei ich beinahe gegen den Tisch geprallt wäre. Sofort sprang ich wieder auf, drehte mich um und sah gerade noch, wie der Alte mit dem Messer auf mich zustürzte.
In seinem Rücken schoss kreischend etwas durch die Luft, das an einen grauen Fliegenschwarm erinnerte. Ehrlich gesagt kümmerte ich mich nicht weiter darum. Der Alte ließ sich durch das seltsame Geräusch ebenfalls nicht ablenken, sondern kam mit federnden Schritten auf mich zu. Das Messer in seinen Pranken blitzte. Was auch immer er von mir erwartet hatte – mit Sicherheit nicht, dass ich zum Angriff überging.
Im Kampf gegen ihn geriet ich gewaltig ins Schwitzen. Mit knapper Mühe brachte ich mich vor seiner Klinge in Sicherheit. Diesen Sprung hatte mir der Alte offenbar nicht mehr zugetraut. Für den Bruchteil einer Sekunde war er wie erstarrt. Das wusste ich zu nutzen: Ein Pfeil aus meinem Köcher leistete mir dann keinen schlechteren Dienst als ein Dolch. Ich rammte ihn dem Alten unters Schlüsselbein. Der ließ sofort das Messer fallen. Daraufhin trat ich ihm gegen’s Bein und schlug ihm mit der offenen Hand vors Kinn. Polternd ging er zu Boden.
In diesem Augenblick fegte eine zerzauste und ergrimmte Lahen ins Zimmer, fauchend wie tausend wilde Katzen. Sie hielt eine abgefeuerte Armbrust in Händen. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete ich und hob das Messer vom Boden auf. Die andere Hand presste ich auf die blutende Wunde in meiner Seite. »Glaube ich jedenfalls. Halt das mal, ich bin gleich wieder da.«
Eine Sache musste ich nämlich noch zu Ende bringen. Ich lief an Marnas Leiche vorbei (genauer gesagt an dem, was von ihr übrig geblieben war) zur Treppe, die auf den Dachboden führte. Im Handumdrehen hatte ich den Bogen gespannt und kletterte vorsichtig aufs Dach. Vom Dach des Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite schirmte mich der Schornstein ab.
Die Abendsonne stand mir im Rücken, der freundliche Yakan konnte also nichts sehen. Ich will es nicht verhehlen: Es bereitete mir ein besonderes Vergnügen, dieses Aas zu erledigen.
Auf dem Rückweg klaubte ich Marnas Armbrust auf. Sie würde ohnehin nie wieder Verwendung dafür haben – nicht, wo sie inzwischen Kopf und Oberkörper eingebüßt hatte. Uns dagegen konnte dieses kleine Wunderding durchaus noch nützlich sein, denn es war wie geschaffen für Lahen. Die Bolzen nahm ich ebenfalls an mich. Das Laden der Waffe stellte sich als überraschend einfach heraus. Als ich mir auch mein Wurfbeil wiederbesorgt hatte, kehrte ich zu Lahen ins Zimmer zurück.
Der Alte war bereits wieder zu sich gekommen und hatte den Holzschaft des Pfeils, der aus seinem Körper ragte, abgebrochen. Er sprach mit Lahen. Die hielt die Armbrust auf ihn gerichtet und antwortete freundlich. Als der Gijan mich sah, lächelte er, nur lag jetzt keine Wärme mehr in seinen Augen. Stattdessen loderte Panik an ihrem Grund auf.
»Du bist eine harte Nuss«, gab er zu.
»Freut mich, dass ich dich von meinen Talenten überzeugen konnte«, entgegnete ich. »Steh auf!«
Ächzend erhob er sich vom Boden.
»Das Alter bringt doch keine Freuden mit sich«, brummte er mit schiefem Grinsen.
»Heute ist nicht unbedingt dein Glückstag, oder?«
»Stimmt, ich hab schon bessere Tage gesehen.«
»Du hast mein Mitgefühl.«
»Du weißt, ich habe nur meine Arbeit getan«, versicherte der Alte. »Rein persönlich habe ich nichts gegen dich.«
»Ich weiß ja, die Enkel wollen versorgt sein …«
»Zwei sind es …« Er warf Lahen einen flehenden Blick zu.
Anscheinend hatte er verstanden, dass
ich
heute nicht in allzu mildtätiger Stimmung war.
»Hau ab«, sagte ich und deutete mit der Armbrust in Richtung Tür.
»Was?«, brachte er heraus, da er seinen Ohren nicht traute.
»Hau ab!«, wiederholte ich.
Daraufhin zerbrach er sich nicht länger den Kopf, woher meine geradezu überirdische Güte rühren mochte. »Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Grauer.«
Der Gijan ging zur Tür. Noch ehe er das Zimmer verlassen hatte, ereilte auch ihn ein Bolzen. Im Schädel. Ohne noch einen Ton von sich zu geben, fiel er zu
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